PRO und CONTRA: Muss die EU jetzt auch das Verbrenner-Aus 2035 kippen?

Von Hans Evert

Europa wacht auf, heißt es jetzt. Das bezieht sich in aller Regel auf die Anstrengungen für mehr Wehrhaftigkeit, ausgelöst durch die geopolitische Kehrtwende der USA unter Donald Trump. 

Auch die Wirtschaftspolitik der EU benötigt mehr Klarheit und Sinn für Realität. Im Brüsseler Aktionsplan für die Autobranche klingt dies zumindest an. So sollen die harten CO2-Flottenziele aufgeweicht werden, Zustimmung von EU-Mitgliedstaaten und Europaparlament vorausgesetzt.

Neben einer Reihe von Initiativen, etwa für Batterieproduktion, wird auch der Zeitplan zum faktischen Verbrenner-Aus für Neuwagen schon im Herbst überprüft, statt erst 2026.

Brüssel sollte konsequent sein und den Zeitplan kippen – im Zeichen der neuen Klarheit.

Als der Null-Emissions-Plan beschlossen wurde, galten andere weltpolitische Vorzeichen –  ein Fehler war das Verbrenner-Aus 2035 schon damals. Die Gründe dafür sind vielfältig, zwei wesentliche lauten:

Erstens: Die Konsumenten in Europa zögern. Der Umstieg vom Verbrenner ließe sich nur mit horrend hohen, zugleich wirtschaftlich unsinnigen Kaufsubventionen beschleunigen. Dafür fehlt den EU-Staaten jetzt ohnehin das Geld.

Zweitens: Europas Hersteller agieren global. In anderen Regionen werden Verbrenner noch lange nach 2035 gefahren. China zum Beispiel, derzeit der globale Leitmarkt für Elektromobilität, will bis 2060 an Diesel- und Benzinantrieb festhalten.

Europas Autokonzerne pumpen Milliarden in die Entwicklung von Elektroautos, die Modelle werden vielfältiger und besser. Diese Entwicklung würde nicht dadurch gestoppt, weil die EU ihr 2035er-Ziel verändert.

Aber es würde den Unternehmen mehr Zeit geben, mit ihren E-Autos Kunden zu überzeugen und den Druck mindern. Denn der ist angesichts der weltpolitischen Verwerfungen ohnehin immens.

Von Michael Knauer

Keine Aufgabe der Ziele, aber eine Flexibilisierung des Weges dorthin –  das bedeuten die Ankündigungen der EU-Kommission zur europäischen Automobilindustrie nach dem "Strategischen Dialog." 

Die Kommission räumt nun endlich ein, bislang zu wenig auf die notwendigen Rahmenbedingungen für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors geachtet zu haben. Jetzt sollen erhebliche Mittel für eine europäische Ladeinfrastruktur und Batteriefertigung bereitgestellt werden. 

Zugleich will die Kommission zentrale Zukunftsfelder wie das autonome Fahren und das software-definierte Fahrzeug voranbringen. 

All das hatte bereits der frühere EZB-Präsident Mario Draghi im September in seinem aufrüttelnden Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie angemahnt.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat allerdings auch eine Tür geöffnet, die zu einem grundlegenden Kurswechsel der europäischen CO2-Regulierung führen könnte. Bereits in diesem Herbst kommt der Fahrplan, der bislang ab 2035 ein Verbrenner-Aus für Neuwagen vorsieht, auf den Prüfstand.

Ursprünglich sollte die Zwischenbilanz erst 2026 gezogen werden. Viele in der Autoindustrie werden nun Strategien entwickeln, um die Kommission bis zum Herbst so stark unter Druck zu setzen, dass dieses Endziel entweder um Jahre verschoben oder zumindest deutlich aufgeweicht wird.

So mancher Autobauer träumt schon davon, auch über 2035 hinaus Plug-in-Hybride verkaufen zu können. Mit einem solchen Schritt würde sich die europäische Industrie gewiss einige bequeme Jahre erkaufen.

Auf lange Sicht jedoch würde die Branche damit fatalerweise eingestehen, dass sie den globalen Wettkampf um das emissionsfreie Auto der Zukunft nicht mehr gewinnen kann.