Analyse: Toyotas großer Irrtum bei der Batterie

Warum hat Toyota jahrelang an seiner Strategie des Hybrid-Antriebes festgehalten, während andere Hersteller schon längst den Hebel umgelegt hatten für das Zeitalter des rein batterie-elektrischen Fahrzeugs? Da ist zunächst der unbestreitbare Markterfolg seiner Hybridmodelle weltweit. Warum sollte man ein erfolgreiches Rennpferd vorzeitig in die Rente schicken, sagte sich der langjährige Toyota-CEO Akio Toyoda.

Toyoda ist ohnehin bekennender Verbrenner-Fan und fährt persönlich am Steuer anspruchsvolle Rennen, er ist auch immer wieder inkognito unterwegs auf der Nordschleife des Nürburginges.

Doch es gibt für Toyotas lange Treue zum Hybrid-Auto eine weitere Erklärung: Jahrelang glaubte der Autobauer, dass der entscheidende Baustein für mehr Batterie-Autos, nämlich das Leichtmetall Lithium für Lithium-Ionen-Batterien, auf den weltweiten Rohstoffmärkten langfristig knapp und damit teuer bleiben werde.

Der Leiter des Toyota Research-Instituts, Gill Pratt, trug die Idee des knappen Roh-Lithiums mehrfach vor. Im Dezember 2022 begründete er damit die Hybrid-Strategie des Herstellers beim "Kenshiki-Forum" in Brüssel, der jährlich stattfindenden europäischen Großveranstaltung des Herstellers mit rund 400 europäischen Journalisten. Auch die Automobilwoche war damals vor Ort.

Pratts zunächst überzeugend klingende Argumentation: Wenn das knappe Lithium auf 100 Hybrid-Fahrzeuge mit kleinen Batterien verteilt werde, sei dies unter dem Gesichtspunkt der CO2-Minderung deutlich effektiver, als wenn es in einem einzigen reinen Elektroauto mit einer einzigen großen Lithium-Ionen-Batterie verbaut werde.

Pratt nimmt also an, dass nur genug Lithium verfügbar sei, um ein Prozent der Fahrzeuge vollständig zu elektrifizieren. "Wenn wir 100 kWh an Batterie-Kapazität haben, dann können wir diese für ein einziges BEV verwenden - oder für 100 Hybrid-Fahrzeuge." Die 100 Hybride würden allerdings erheblich mehr an CO2 einsparen als das einzige vollelektrische Fahrzeug, so Pratts Logik.

Zudem sei es auch effektiver, die knappen Lithium-Batterien auf Plug-in-Hybride zu verwenden. So könnten mit dem Lithium für ein einziges BEV sechs Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge ausgerüstet werden, rechnete Pratt vor.

Auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Jahr 2023 präsentierte der Toyota-Vordenker diese Rechnung. "Es wird nicht genug Lithium geben", betonte Pratt in Davos.

Der Grund dafür sei der nicht ausreichend schnelle Ausbau der Minen-Kapazitäten. Um eine neue Lithium-Mine zu erschließen, brauche es mindestens fünf Jahre, teilweise sogar 16 Jahre. Dagegen dauere der Aufbau einer neuen Batterie-Fabrik nur zwei bis drei Jahre. "Es wird also eine enorme Versorgungslücke mit Rohstoffen geben", so Pratt.

Die Folgerung daraus für Toyota bestehe darin, die Fahrzeug zwar zu elektrifizieren, jedoch nicht allein mit einer Technologie. Neben dem E-Auto bleibe auch das Hybrid-Fahrzeug, das bei Toyota in den allermeisten Fällen mit einer Nickel-Metall-Hydrid-Batterie (NiMH) ausgestattet ist, ein zentraler Baustein der Elektrostrategie Toyotas.

Die Annahme, dass Roh-Lithium eine Mangelware sei, gilt in der Fachbranche allerdings seit Jahren als überholt. Tatsächlich ist Roh-Lithium weltweit im Überfluss vorhanden.

Die wirtschaftlich sinnvoll verwertbaren weltweiten Vorkommen werden aktuell auf rund 14 Millionen Tonnen beziffert. Die insgesamt nachgewiesenen Reserven dürften sogar bei 62 Millionen Tonnen liegen – das würde nach heutigem Stand für den Bau von rund zehn Milliarden reinen EVs ausreichen.

Durch neue Verfahren könnten diese Vorkommen zumindest teilweise profitabel nutzbar gemacht werden. So arbeitet etwa Exxon an einer Methode, um die Lithium-Förderung um mindestens 80 Prozent günstiger zu machen. 

Einen "bottleneck" gibt es dagegen beim Raffinade-Produkt Lithium-Hydroxit, weil die entsprechenden Anlagen knapp sind und ganz überwiegend in China stehen. Sowohl in den USA als auch in Europa gibt es aber längst Projekte, um zusätzliche Anlagen zu bauen. Unddieser Bau dauert nicht fünf oder 16 Jahre, sondern industrieübliche zwei bis drei Jahre. Der vermeintliche Lithium-Mangel löst sich auf.

Auke Hoekstra, Leiter des Lehrstuhls für nachhaltige Energiewirtschaft und Mobilität an der Universität Eindhoven, hat die Annahmen von Gill Pratt im Detail untersucht und zieht ein ausgesprochen kurzes Fazit: "Das ist völliger Blödsinn."

Auch die Annahme Toyotas, dass nur ein Prozent der Neuwagen mit Lithium-Ionen-Batterien ausgerüstet werden könnten, erweist sich bei Betrachtung der Fakten als falsch.

Tatsächlich wurden nämlich 2023 nach Angaben des europäischen Herstellerverbandes ACEA 72,5 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge verkauft, rund zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Davon waren rund 9,5 Millionen reine BEVs, somit ein Anteil von gut 13 Prozent. Weitere vier Millionen Fahrzeuge waren 2023 Plug-in-Hybride. In der EU waren dabei bereits 14,6 Prozent reine Elektroautos.

Nicht berücksichtigt in der Lithium-Angst von Toyota ist auch die intensive Forschung an alternativen Batterie-Rohstoffen. So hat etwa inzwischen die lithium-freie Natrium-Batterie bei einigen chinesischen Herstellern in Serien-Elektrofahrzeugen Einzug gehalten.

Und auch das große Potenzial des Batterie-Recyclings lässt die Kalkulation von Toyota außer Acht. Zahlreiche Unternehmen arbeiten an einem Ausbau der Kreislaufwirtschaft für Batterien und einzelne Batterie-Rohstoffe. Dies dürfte mittelfristig die Lieferketten zusätzlich entspannen.

Unter dem Strich liege Toyota mit seinen Annahmen zur Lithium-Lage völlig daneben, urteilt Maximilian Fichtner, Leiter des Batterie-Forschungszentrums Ulm. "Der Argumentation von Toyota mangelt es an Beweisen. Und an einer verlässlichen Perspektive", so Fichtner.