Anfang des Jahres hat ZF Friedrichshafen die neue Division Chassis Solutions unter der Führung von Peter Holdmann geschaffen. Zum 1. Mai hat der ZF-Aufsichtsrat den 54-Jährigen nun auch zum Vorstand berufen. Der Manager will den Zulieferer zum führenden Anbieter im Bereich Software machen und die weltweite Marktführerschaft im Chassis-Business ausbauen. Das Ganze muss er jedoch mit Einsparungen kombinieren, denn Holdmann will mit seiner Division einen substanziellen Beitrag zum Ziel des Konzerns beitragen, in den nächsten zwei Jahren sechs Milliarden Euro einzusparen. Das Gespräch mit Peter Holdmann fand wenige Tage vor seiner Berufung zum Vorstand statt.
Herr Holdmann, was versprechen Sie sich von der neuen Division?
Wir können jetzt noch effizienter arbeiten und unseren Kunden komplette Fahrwerksysteme bestehend aus Hard- und Software aus einer Hand anbieten. Die Fusion der beiden Divisionen Aktive Sicherheitstechnik und Pkw-Fahrwerktechnik zu einer schlagkräftigen Einheit ist daher ein logischer Schritt. Mit der Bündelung von Know-how folgen wir auch dem Wunsch unserer Kunden nach einfachen und effektiven Strukturen auf Zulieferseite. Wir können so die Transformation hin zum Software-definierten Fahrzeug noch aktiver mitgestalten.
Können Sie das näher erläutern?
In neuen und zukünftigen Fahrzeugplattformen wird sich die elektrische und elektronische Architektur massiv verändern. Die wichtigsten Softwarefunktionen werden in einigen Domänen- oder Zonencontrollern gebündelt. Mehr und mehr Funktionen und Features wandern also weg von den einzelnen Aktuatoren der vielen Steuergeräte hin zu zentralen Domain-Strukturen im Fahrzeug. Das ist schon heute der Fall. Ich bin überzeugt, dass 30 bis 40 Prozent der Fahrzeugplattformen ab 2025 zonal- und domänengesteuert abgebildet werden. Diese Entwicklung ermöglicht unseren Kunden, aber auch uns als Systemlieferanten, von diesen Domain-Strukturen die Aktuatoren besser orchestriert ansteuern zu können.
Das sehen Ihre Kunden auch so?
Sie stimmen mit uns darin überein, dass zukünftig kundenrelevante Verbesserungen in der Fahrdynamik mehr durch das richtige Abstimmen der Aktuatoren zueinander als durch die individuelle Optimierung einzelner Aktuatoren erreicht werden. Mit dem breitesten Produktangebot über alle Dimensionen der Fahrdynamik, also quer, längs und vertikal, und ihrer Fahrwerksaktuatoren unter einem Dach – darunter Bremsen, Lenkung, Fahrwerk, Fahrwerkskomponenten sowie Softwarelösungen und Fahrwerksarchitekturen – erfüllen wir ideal die Voraussetzungen für diese Anforderungen. Durch das Zusammenlegen der beiden Divisionen können wir mit unserem Knowhow die Aktuatoren nun noch besser miteinander spielen lassen.
Wie verändert sich Ihr Wettbewerbsumfeld?
Auf der Produktseite sind es die gleichen Unternehmen. Bei Software oder digitalen Geschäftsmodellen, die wir aus unserem Vehicle-Motion-Systemhaus bedienen wollen, gibt es neue Anbieter, die mit unserer jetzigen Wettbewerber-Landschaft wenig zu tun haben. Darunter finden sich zahlreiche Start-ups, die sich mit digitalen Geschäftsmodellen oder Software als Produkt auseinandersetzen.
Unter „cubiX“ bietet ZF automobilspezifische Software an. Welche Kunden greifen da zu?
Bei der Entwicklung von cubiX hatten wir ursprünglich mehr an Kunden gedacht, bei denen eine Vehicle-Dynamics-Fahrwerktechnik nicht zur Kernkompetenz gehört und die daher nach einem Systemanbieter suchen. Wir sehen jetzt aber, dass vor allem unsere klassischen Kunden sehr an einer Zusammenarbeit im Bereich Fahrdynamik und Software interessiert sind. Sie wollen vielleicht nicht immer das ganze Paket, sondern sind oft an Einzelaspekten interessiert, die wir mit cubiX bieten können. Wir können nicht erwarten, dass der Kunde alle Aktuatoren von uns bezieht.
Was bedeutet das für die Softwareprodukte?
Unsere Softwareprodukte müssen wir daher schon von vornherein so konzipieren, dass wir Wettbewerber-Aktuatoren mit einbeziehen können. Und das tun wir erfolgreich. Unsere Software cubiX ging bereits im letzten Jahr im Lotus Eletre aus dem Geely-Konzern in Serie. In diesem Elektro-SUV steuert die Software nicht nur zahlreiche ZF-Aktuatoren an, sondern auch die Hinterachslenkung eines Wettbewerbers.
Wo steht ZF mit seiner Software?
Wir wissen, dass wir Software und Hardware unabhängig voneinander anbieten müssen. Wir verfügen auch über sehr gute Softwarekonzepte, das haben wir mit cubiX schon gezeigt. Aber manchmal haben wir bei komplexen Projekten noch nicht die gleiche Effizienz in der Softwareentwicklung wie in der Hardware. Das ist aber völlig normal. Damit haben auch andere Unternehmen zu kämpfen.
Was ist da Ihr Ziel?
Ich möchte erreichen, dass wir diese Baustellen in den nächsten ein bis zwei Jahren schließen. Wir wollen von unseren Kunden als führender Zulieferer im Bereich Software anerkannt werden. Darauf arbeiten wir hin, weil der Softwareanteil zunehmend wichtiger wird für unseren Geschäftserfolg im Hardwarebereich. Ich will mit meiner Mannschaft in den nächsten zwei Jahren vor die Welle kommen.
ZF will das Werk Eitorf spätestens Ende 2027 schließen. Es gibt also kein Zurück?
Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass Eitorf wohl das letzte Werk in Deutschland ist, in dem überhaupt noch Stoßdämpfer produziert werden. Zahlreiche Wettbewerber hat es schon vor etlichen Jahren nach Rumänien und in andere osteuropäische Länder gezogen. Standardstoßdämpfer sind Commodities, für die es Weltmarktpreise gibt. Mit Kostenstrukturen, wie wir sie in Deutschland vorfinden und die wir als Unternehmen nicht beeinflussen können, lässt sich hierzulande mit diesem Produkt kein Geld mehr verdienen.
Also schlechte Aussichten für den Standort Deutschland?
Überhaupt nicht. ZF investiert nach wie vor Milliardenbeträge in Deutschland, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte gegeben ist und die Rahmenbedingungen stimmen. 2022 hat ZF mehr als zwei Milliarden Euro in die deutschen Standorte investiert, und auch in Zukunft landen hier bis zu 30 Prozent der weltweiten ZF-Investitionen. Wir müssen aber jeden Hebel nutzen, um die Produktivität hochzuhalten und so viel zu automatisieren wie möglich. Wenn wir Produkte finden, die wir in Deutschland wettbewerbsfähig und profitabel fertigen können, werden wir das tun.
Wo sehen Sie das im Bereich Chassis?
Am Standort in Koblenz werden wir unsere intelligenten Bremsregelsysteme hochautomatisiert fertigen. Und in Diepholz bauen wir als Teil des Zukunftspakts für die Dümmer-Region die vollautomatisierte Kunststofffertigung aus.
Welche Synergien versprechen Sie sich von der Zusammenlegung der beiden Divisionen?
Es ist klar, dass die Zukunft für die integrierte Division hervorragende Chancen bereithält und wir uns in einer starken Position im Markt befinden. Doch um unser Potenzial voll zu nutzen, benötigen wir auch entsprechende Investitionen, die wir aus eigener Kraft finanzieren müssen. Daher ist entscheidend, dass wir Synergien nutzen, indem wir den organisatorischen Aufbau optimieren, Funktions- und Produktionskosteneffizienz realisieren sowie die Produkt- und Prozesskosten verbessern.
Zudem hat ZF das Ziel, innerhalb von zwei Jahren sechs Milliarden Euro einzusparen. Hierzu wird die Division Chassis Solutions einen substanziellen Anteil beitragen. Wir haben beispielsweise Synergien in den Administrationsfunktionen der Division und den dazugehörigen Produktlinien identifiziert, die wir jetzt umsetzen. Im Rahmen unseres Performance-Projektes haben sich weitere Potenziale herauskristallisiert. Neben dem Thema Footprint wollen wir in unseren Werken überall Best Practice anwenden, um optimale Strukturen zu schaffen.
Wie lautet Ihre Vision für die Division Chassis Solutions für 2030?
Wir sind am Markt schon heute einzigartig aufgestellt. Diese weltweite Marktführerschaft im Chassis-Business möchten wir in Zukunft nicht nur verteidigen, sondern ausbauen. Wir haben uns das Ziel gesetzt, nicht nur die globalen Trends in der Automobilindustrie aufmerksam zu verfolgen, sondern selbst Trends zu setzen. Das tun wir bereits mit unserem branchenweit umfassendsten Angebot an By-Wire-Technologien, für die wir schon mehrere Kundenaufträge gewinnen konnten. Hier wollen wir anknüpfen. Wir arbeiten daher schon heute am Fahrwerk der Zukunft und wollen die Entwicklung des Chassis 2.0, wie wir es nennen, in Richtung Komfort, Sicherheit und Vernetzung aktiv vorantreiben, ohne dass dabei die Themen Fahrspaß und Nachhaltigkeit zu kurz kommen.
Welche Umsatzerwartung haben Sie?
ZF hat sich konzernweit das Ziel gesetzt, jeweils ein Drittel des Umsatzes in Europa, in Asien und in Nordamerika zu erzielen. Das erfüllt die Division Chassis Solutions schon jetzt. Ohne das Achsmontagegeschäft, das wie gesagt in Kürze in ein Joint Venture übergehen wird, erwarten wir in unserer neuen Division Chassis Solutions für dieses Jahr knapp 11,5 Milliarden Euro Umsatz.
Bei der Achsmontage haben Sie mit Foxconn einen Partner gefunden. Wann erwarten Sie die Freigabe durch die Kartellbehörden?
Wir liegen absolut im zeitlichen Rahmen. Beide Partner sind sehr zuversichtlich, dass wir das Closing noch im ersten Halbjahr schaffen. Dafür erhalten wir auch große Unterstützung von unseren beiden größten Kunden, auf die gut zwei Drittel des Geschäfts entfallen. Für sie sind wir weltweit der Achsmontage-Partner. Auch nach Bekanntgabe des Joint Ventures haben wir noch nennenswertes Neugeschäft von unseren Stammkunden akquirieren können.
Können Sie sich eine weiterreichende Zusammenarbeit mit Foxconn vorstellen?
Foxconn ist dabei, sich durch verschiedene Aktivitäten in der Automobilbranche zu etablieren, und die Beteiligung an unserem Achsgeschäft war für das Unternehmen sicher ein wichtiger Baustein. Aus dieser Entwicklung heraus können sich perspektivisch weitere Formen der Zusammenarbeit ergeben.
Können Sie konkreter werden?
Nein, das wäre zum jetzigen Zeitpunkt zu früh.
Wie wird sich das Chassis vor dem Hintergrund der E-Mobilität verändern?
Die E-Mobilität führt zu schwereren Autos mit längerem Radstand, weil die Batterien zwischen die Achsen platziert werden müssen. Zudem werden die Fahrzeuge leiser. Die Folge sind höhere Anforderungen an die Fahrwerktechnik. Auch Akustik und Fahrkomfort gewinnen an Bedeutung, weil mehr und mehr autonome Fahrfunktionen zum Einsatz kommen. Akustik, Fahrkomfort und Gewicht führen dazu, dass mehr Aktuatoren im Fahrzeug untergebracht werden müssen.
Gibt es dafür Beispiele?
Der längere Radstand führt dazu, dass vermehrt Fahrzeuge mit Hinterachslenkung ausgestattet werden, damit sie genauso wendig wie konventionelle Fahrzeuge sind. Aber auch das höhere Gewicht führt insbesondere im Premium-Segment zu mehr aktiven Fahrwerken oder zumindest aktiven Stabilisatoren. Hier sehen wir ein großes Potenzial für uns als Systemanbieter, der nicht nur Commodities liefert, sondern auch solche aktiven Systeme entwickeln und anbieten kann.
Dazu aus dem Datencenter: