Er hat es wieder getan. Auf seine gewohnt unkonventionelle Art hat Tesla-Chef Elon Musk den geplanten Kauf von Twitter abgesagt. Die Entscheidung hatte sich bereits abgezeichnet. Musk hatte im Frühjahr angekündigt, die Plattform übernehmen zu wollen. Schon kurz darauf zweifelte er öffentlich die Zahl der nicht mehr aktiven Accounts an. Twitter will die vereinbarte Vertragsstrafe von einer Milliarde Dollar notfalls mit juristischer Hilfe eintreiben. Es sind nicht die ersten negativen Schlagzeilen für Musk in diesem Jahr.
Die Dämmerung des Elon Musk
Er hat Milliarden von Dollars verloren, den Twitter-Deal in den Sand gesetzt, Arbeitnehmerrechte ignoriert und sich auf die Seite der US-Republikaner geschlagen. In der Welt von Elon Musk läuft immer mehr schief.
Manchmal sind es die kleinen Dinge, die viel sagen über einen Menschen. In den USA sorgte im vergangenen Dezember eine Auseinandersetzung zwischen Elon Musk und einem völlig unbekannten Berater für den öffentlichen Personennahverkehr für ein "Aha!"-Erlebnis bei vielen Elon-Fans.
Musk hatte bei einer Internet-Konferenz den öffentlichen Transport in den USA als "pain in the ass" (Belastung für die Nerven) bezeichnet und erklärt, wer mit Bus oder Bahn fahre, könne durchaus Opfer eines Massenmörders werden.
Der Berater Jarrett Walker warf Musk daraufhin vor, er trete für ein Mobilitätssystem für Eliten ein, ignoriere aber die Bedürfnisse der Massen. Musk erwiderte Walker daraufhin lediglich: "You're an idiot".
Musk machte sich nicht die Mühe, mit Walker zu diskutieren. Er tippte einen Twitter-Satz, erledigt. Diese Form der Kommunikation mag genügen, um einen Jarrett Walker als Trottel dastehen zu lassen. Sie genügt aber nicht, um Investoren, Mitarbeiter und Kunden auf Dauer zu überzeugen. Erstrecht nicht in Zeiten voller Krisen und Probleme.
Das Jahr 2022 wird wohl kaum als das Jahr des Elon Musk in die Geschichte eingehen. Seit Anfang Januar hat der ehemals reichste Mann der Welt nach Berechnungen des Bloomberg Billionaires Index knapp ein Drittel seines Vermögens eingebüßt. Demnach hat er 70 Milliarden verloren, sein Vermögen soll sich nun noch auf 190 Milliarden Dollar belaufen.
Der tiefe Fall ist im Wesentlichen auf den Absturz der Tesla-Aktie zurückzuführen. Vom Höchststand von 1230 Dollar am 4. November 2021 halbierte sich der Kurs auf zuletzt 615 Dollar. Und das geschah trotz des höchsten Quartalsgewinns aller Zeiten, den Tesla im Mai bekanntgegeben hatte. Zudem sitzt Tesla auf einem riesigen Auftragsbestand, den man wohl noch lange nicht abarbeiten kann.
Normal ist die Börsenreaktion somit eigentlich nicht. Der Kurseinbruch hat allerdings wenig mit Autos zu tun, sondern weit mehr mit einer Person. Und die hat zunehmende Probleme.
Tesla ist bekanntlich der einzige größere Automobilhersteller, der völlig ohne Marketing auskommt. Das Marketing-Wunder ist nämlich Elon Musk persönlich, der sich und die Marke mit seinen öffentlichen Auftritten und Twitter-Sätzen im Gespräch hält.
Doch inzwischen wird immer deutlicher, dass Musk eine schwierige Persönlichkeit ist. Er agiert häufig impulsgesteuert, chaotisch, egozentrisch. Gesprächspartner auf Augenhöhe kennt er nicht. Er scheint in seiner ganz eigenen Elon-Welt zu leben.
Musk-Kritiker haben in akribischer Kleinarbeit nachgewiesen, dass einige seiner Äußerungen zumindest beleidigend, häufig einseitig und manchmal sogar rundweg falsch waren. Teilweise musste Musk schon Strafen an die US-Börsenaufsicht SEC bezahlen, weil er Börsenregeln missachtet hatte.
Kein guter Unternehmer sollte solche Fehlleistungen auf die leichte Schulter nehmen. Doch Musk hält an seiner Alleinherrschaft fest. Schon lange fragen sich Investoren, wie er in seinem Unternehmens-Dickicht noch den Überblick behalten kann. Allein für ein Unternehmen wie Tesla würde jeder andere CEO ein umfangreiches, hochqualifiziertes Vorstandsteam einsetzen - schon um die unzähligen Regelwerke dieser Welt nicht versehentlich zu missachten.
Fragezeichen in Bezug auf Elon Musk gibt es schon seit Jahren, sogar sein historischer Erfolg mit dem Bezahldienst PayPal erscheint längst in einem anderen Licht. Tatsächlich war PayPal 1998 nicht von Musk, sondern von Peter Thiel gegründet worden.
Die Fragezeichen sind inzwischen sehr groß geworden, nicht zuletzt bei den Investoren seiner Unternehmen. Was sie dort sehen, erfreute sie zuletzt ganz und gar nicht mehr. Im April kündigte der Multi-Unternehmer an, den Social-Media-Dienst Twitter übernehmen zu wollen, seinen favorisierten Kommunikationskanal. Dort hat er mehr als 95 Millionen Follower, ein unschätzbares Potenzial.
Twitter beschränke zu stark die Meinungsfreiheit, argumentierte Musk. Es müsse auch erlaubt sein, "ziemlich empörende" Dinge zu veröffentlichen. Dies ließ die Sorge steigen, Musk würde "Fake News" künftig freien Lauf lassen.
Investoren fragen sich aber vor allem, was der Anfang Juni vorerst auf Eis gelegte Übernahmeversuch von Twitter in ihrem Börsenportfolio zu suchen hat. Synergien mit irgendeinem anderen Musk-Unternehmen können sie nicht erkennen, stattdessen treibt sie die Sorge, die monatelange Beschäftigung mit einem Milliardendeal könne Musk von seinen vielen anderen Aufgaben ablenken.
In der liberalen und ökologisch orientierten Öffentlichkeit in den USA, die in den vergangenen Jahren zu den Hauptkunden der Tesla-Fahrzeuge gehörte, sorgt noch eine weitere Entwicklung für Fragezeichen. So kündigte Musk vor wenigen Tagen an, er werde den Präsidentschaftswahlkampf von Ron DeSantis unterstützen, dem republikanischen Gouverneur von Florida.
Als Grund nannte er "unberechtigte Angriffe auf mich durch führende Demokraten und eine sehr kalte Schulter gegenüber Tesla und SpaceX". Die Demokraten, so klagte er, würden ihn und seine Erfindungen nicht ausreichend würdigen. Die Demokraten seien zur "Partei der Spaltung und des Hasses" geworden, erklärte er.
DeSantis gilt als strammer Gefolgsmann von Ex-Präsident Donald Trump. Unter anderem erließ er während der Hochphase der Pandemie keine Maskenpflicht in Florida und untersagte den Schulen, bis zu einem gewissen Alter über die sexuelle Orientierung von Menschen zu unterrichten.
Musk hatte sich 2019 einen monatelangen öffentlichen Streit mit einem homosexuellen britischen Höhlenforscher geliefert und ihn als "pedo guy" diffamiert. Damals ging diese Episode als PR-Klamauk durch, inzwischen aber sehen immer mehr Beobachter die autoritär-konservative Haltung von Musk als Problem an, agil auf die sich verändernden Rahmenbedingungen in der Welt reagieren zu können.
Ein hochinnovatives Unternehmen wie Tesla sollte eigentlich in der Lage sei, die loyalsten Mitarbeiter und begabtesten Talente an Bord zu holen - und auch zu halten. Tatsächlich aber machen viele Arbeiter und Manager in den meisten Ländern dieser Welt inzwischen einen Bogen um Tesla, wenn sie eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit haben. In Grünheide etwa sind noch immer nicht alle Positionen besetzt, auch weil immer wieder neue Mitarbeiter nach kurzer Zeit den Hut werfen.
Musk geht seit Jahren gegen Arbeitnehmerrechte vor, sei es im Heimatland USA oder auch in Deutschland am neuen Werksstandort Grünheide. Dort gelang es den Arbeitnehmern nur mit juristischer Hilfe, die Gründung eines Betriebsrates durchzusetzen.
In den USA wurde Musk im Mai durch eine staatliche Kommission (National Labor Relations Board) dazu verurteilt, einen Tweet zu löschen, in dem er drohend gegen die Bildung von Gewerkschaften an Tesla-Standorten argumentiert hatte. Arbeitnehmer könnten dann ihre Aktienoptionen einbüßen, hatte Musk erklärt - ohne jede rechtliche Grundlage dafür. Er hatte auch Mitarbeitern mit Maßnahmen gedroht, die mit der Presse sprechen.
In mehreren Tesla-Werken musste Tesla per Gerichtsurteil zu hohen Entschädigungen für Mitarbeiter gezwungen werden, die von anderen Mitarbeitern rassistisch beleidigt und gemobbt worden waren.
Im Werk Schanghai, das wie die ganze Stadt unter einem massiven Lockdown leidet, wurden Arbeiter tagelang daran gehindert, die Fabrik zu verlassen. Zudem wurden sie aufgefordert, an sechs Tagen hintereinander jeweils Zwölf-Stunden-Schichten zu absolvieren.
Musk erklärte jüngst in einem Interview mit der "Financial Times": "In China gibt es einfach eine Menge sehr talentierter, hart arbeitender Menschen, die fest an die Produktion glauben. Sie arbeiten nicht nur um Mitternacht, sondern auch um drei Uhr morgens, sie verlassen nicht einmal die Fabrik, während die Menschen in Amerika versuchen, gar nicht erst zur Arbeit zu gehen."
Anfang Juni sorgte Musk dann mit einer persönlichen Botschaft nicht nur bei der deutschen IG Metall für Staunen, als er erklärte, alle Angestellten von Tesla weltweit müssten "mindestens 40 Stunden in der Woche im Büro verbringen". Mit nur 40 Stunden Arbeit pro Woche sei die Welt nun mal nicht zu verändern, so Musk.
Schon 2018 hatte er den Mitarbeitern beim Hochlaufen des Model 3 gesagt, sie sollten doch besser 80 Stunden pro Woche arbeiten, besser noch 100 Stunden, um das Auto auf die Straße zu bringen.
Elon Musk scheint bei aller Genialität eine grundlegende menschliche Fähigkeit zu fehlen: Die Fähigkeit zur Empathie. Wie nachhaltig eine solche Unternehmensführung sein kann, wird sich zeigen.
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