Am Anfang hatten sie ein bisschen eine lange Leitung. Doch jetzt ist der Knoten bei Mercedes offenbar geplatzt und wie beim Brezelbacken kommen die Elektromodelle plötzlich in schneller Folge – und werden dabei immer besser. Denn nachdem die Schwaben mit dem EQS erst einmal die elektrische Elite bedient und sich dabei trotz des lauten Lobes für die Technik augenscheinlich etwas schwergetan haben, groovt sich die Truppe um Plattformchef Christoph Starzynski so langsam ein: Mit dem EQS SUV hat Mercedes die praktische Seite seines elektrischen Flaggschiffs gezeigt und mit der EQE Limousine die Hürde für den Eintritt in die elektrische Oberklasse gesenkt. Und wenn nach den Sommerferien als Vierter im Bunde der EQE auch als SUV an den Start geht, hat der als designierter Bestseller das Zeug zum neuen Oberhaupt der Familie. In den USA und in China produziert und als aussichtsreicher Wettbewerber gegen Modelle wie Audi e-Tron, BMW iX, Polestar 3 oder natürlich Tesla Model X positioniert, zielt es schließlich ins größte Segment des globalen E-Marktes. Außerdem sprechen die Schwaben damit gleich zwei Zielgruppen an: Für die einen soll der EQE auf Stelzen zur nachhaltigen Alternative für den GLE werden und für die anderen das liebgewordene und trotzdem irgendwie aus der Zeit gefallene T-Modell ersetzen, das es zur EQE-Limousine nicht mehr geben wird. Die Kunden müssen allerdings tief in die Tasche greifen: Die Preise beginnen bei 83.479 Euro und liegen damit runde 20 Prozent über denen der EQE Limousine.
Egal ob GLE-Kunde mit schlechten Klimagewissen oder EQE-Fahrer mit erhöhtem Platzbedarf: Beide Lager ködert Mercedes mit einem Design, das etwas kräftiger und konturierter ist als beim EQS SUV und mit einem ganz eigenständigen Format. Denn bei 4,86 Metern Länge fällt das SUV neun Zentimeter kürzer aus als der flache EQE und mit 3,03 Metern hat er zudem neun Zentimeter weniger Radstand. Das schärft die Proportionen, lässt aber innen noch immer genügend Platz für fünf Passagiere, die deutlich besser sitzen als im GLE. Und weil Mercedes der Versuchung widersteht, auch noch eine dritte Sitzbank in den Fond zu quetschen, bleibt auch fürs Gepäck noch genügend Raum: 520 bis 1675 Liter fasst der Kofferraum und nur der Vollständigkeit halber sei zudem die Anhängelast von 1,8 Tonnen erwähnt: Ein Segelboot, einen kleinen Wohnwagen oder ein Pferd nimmt das EQE SUV so locker an den Haken.
Designierter Bestseller
Mit dem SUV des EQE kommt im Herbst der wohl wichtigste Stromer mit Stern auf den Markt. Von der Limousine unterscheidet ihn nicht nur die Karosserie.
Der Aufbau ist neu, aber Akkus und Antrieb kennt man von der Limousine: Weil die große Batterie aus dem EQS nicht zwischen die Achsen passt, gibt es auch für das EQE SUV nur die zehn Module mit zusammen 90 kWh, die WLTP-Reichweiten zwischen 460 und 596 Kilometern ermöglicht. Sie speist im Grundmodell EQE 300 einen 245 PS starken E-Motor an der Hinterachse. Im EQE 350+ spult die Maschine 292 PS ab, und im EQE350 4Matic gibt es bei identischer Systemleistung einen zweiten Motor Maschine im Bug und damit Allradantrieb. Und im vorläufigen Top-Modell EQE500 kommen beide Motoren zusammen auf 408 PS und zerren im besten Fall mit vereinten 858 Nm an allen vier Rädern. Entsprechend flott geht es deshalb zur Sache und entsprechend wenig ist von den 2,6 Tonnen Leergewicht zu fühlen, wenn der EQE beim Kickdown nach 4,9 Sekunden Tempo 100 erreicht. Und mit 210 km/h Spitze fühlt man sich auf der Autobahn anders als etwa im kleinen Bruder EQC auch nicht mehr wie in der zweiten Liga.
Auch wenn die Technik sattsam vertraut und mit Extras wie der Trennkupplung an der Vorderachse oder der Wärmepumpe nur evolutionär auf mehr Effizienz optimiert ist, vermittelt das EQE SUV ein neues Fahrgefühl. Auf kurvigen Land- und Küstenstraßen erlebt man das SUV deshalb deutlich souveräner als die Limousine und spürbar agiler seinen großen Bruder – schließlich sitzt man zwei Handbreit höher als im konventionellen EQE und bewegt 30 Zentimeter weniger Auto als beim großen Bruder: Entsprechend eng hält man das elektrische Dickschiff auf Kurs und entsprechend breit wird das Grinsen, wenn man damit über die einsamen Berg- und Talbahnen zweiter und dritter Ordnung surrt. Und wer es etwas gediegener mag, kann ja die Luftfederung bestellen, mit der es dann auch ein Offroad-Paket und auf Knopfdruck 20 Zentimeter mehr Bodenfreiheit gibt.
Alles andere als gediegen geht es naturgemäß bei AMG zu, wo sie jetzt zum ersten Mal auch bei einem elektrischen SUV am Regler drehen. Dort gibt es ihn immer mit Allradantrieb und Allradlenkung mit 476 PS und bis zu 687 PS im EQE 53 4MATIC+ mit Boost-Funktion. Das maximale Drehmoment reicht von 858 bis zu 1000 Nm und dürfte bei manchem E-Jünger für oszillierendes Vorhofflimmern sorgen. Schließlich gelingt der Sprint von 0 auf 100 km/h im besten Fall in 3,5 Sekunden und die Höchstgeschwindigkeit wird auf bis zu 240 km/h angehoben. Dafür allerdings schrumpft die Reichweite und liegt mit 90-kWh-Akku nun bei 431 bis 375 Kilometern.
Zwar gehen sie in Stuttgart alle davon aus, dass das EQE SUV zum meistverkauften Modell der elektrischen Oberklasse-Plattform EVA2 wird und messen ihm entsprechend viel Bedeutung bei. Doch die Rolle das Familienoberhaupts ist für ein anderes Mitglied reserviert, das sich am anderen Ende der Welt gerade warmläuft: Mit reichlich Lack, Leder und Lametta wird aus dem großen Bruder des EQE SUV zur Motorshow in Schanghai kurz nach Ostern der erste elektrische Maybach.
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