Frau Rådström, Sie sind seit zweieinhalb Jahren CEO von Mercedes-Benz Lkw. Wie wichtig ist die Premiere des eActros 600?
Nun, der Start von eActros 300 und 400 war auch schon ein Meilenstein, weil wir damit in die Serienproduktion elektrischer Trucks eingestiegen sind. Aber dieser Lkw hat sicher eine andere Bedeutung für das Geschäft. Es ist das größte Segment, es ist die Langstrecke, das Angebot richtet sich an deutlich mehr Kunden als bisher. Es ist also schon ein besonderer Tag in meiner beruflichen Laufbahn.
Wann rechnen sie mit einem wirklichen Durchbruch des E-Antriebs?
Das ist schwer zu sagen. Aber wenn man es von der Kundenseite aus betrachtet und fragt, was notwendig ist, um sie zum Umstieg zu bewegen, dann sind dies drei Dinge. Sie brauchen ein Produkt, das ihre Bedürfnisse abdeckt. Das haben wir mit dem eActros 600, der mit seinen 500 Kilometer Reichweite die meisten Strecken mit nur einer Ladung bedienen kann, geschafft.
Und was noch?
Die Kunden müssen sehen, dass es eine Kostenparität im Vergleich zum Diesel gibt. Sie kaufen solche Fahrzeuge nicht zum Spaß, sondern weil sie Waren transportieren und damit Geld verdienen müssen. Die Anschaffungskosten eines eActros 600 sind zwar grob um den Faktor 2 bis 2,5 höher, aber die Betriebskosten, beispielsweise in Deutschland, können deutlich geringer sein. Denken Sie allein an Energiekosten oder Mautgebühren. Wir gehen von einer durchschnittlichen Dauer von fünf Jahren oder 600.000 Kilometer aus, bis die Parität erreicht sein kann. Da macht der Wechsel in sehr vielen Anwendungsfällen aus dieser Perspektive Sinn.
Und der dritte Faktor?
Die größte Herausforderung ist sicher noch das Laden unterwegs. Natürlich können Sie das im Depot mit eigenen Ladestationen machen. Aber es braucht auch öffentliche Stromtankstellen. Hier tut sich zwar etwas, aber es könnte durchaus schneller gehen. Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Akzeptanz von allein kommen.
Müsste die Politik mehr tun?
Wir haben entschieden, zusammen mit Traton und Volvo in Vorleistung zu gehen und wollen bis 2027 mindestens 1700 Ladepunkte entlang der europäischen Hauptachsen aufbauen. Aber bis 2030 sind 45.000 Ladepunkte notwendig, um das angestrebte Tempo beim Hochlauf zu ermöglichen. Auch wenn wir unser Engagement erhöhen würden, bleibt eine große Lücke. Zwar gibt es Ansätze auf EU-Ebene, aber die reichen nicht. Die einzelnen Regierungen sollten hier eine deutlich aktivere Rolle einnehmen, denn dieser Sektor ist sehr wichtig für die Dekarbonisierung, der finanzielle Aufwand im Vergleich zu anderen Sektoren geringer.
Gibt es Berechnungen, welchen Anteil elektrischer Lkw Sie wann erreichen wollen?
Wir haben gesagt, dass bis zu 60 Prozent unserer Neufahrzeuge in Europa im Jahr 2030 aus batterieelektrischen oder Brennstoffzellen-Lkw bestehen könnten. Aber am Ende hängt dies von sehr vielen Dingen ab wie etwa der Entwicklung der Energiepreise. Wenn es hier schon kleine Verschiebungen gibt, kann das enorme Auswirkungen auf den Hochlauf haben. Exakte Vorhersagen sind daher nicht möglich.
Wo sehen Sie die Hauptmärkte für den eActros 600?
Wir werden ihn zunächst in ganz Europa ausrollen, dann in den restlichen Mercedes-Benz Trucks-Märkten der Welt, sobald es für die Kunden Sinn macht. Wir haben Absichtserklärungen für den Kauf im vierstelligen Bereich vorliegen, also bin ich sehr optimistisch. Die Nachfrage ist in den Ländern am stärksten, in denen es auch staatliche Unterstützung gibt, also zum Beispiel in Deutschland. Auch die Schweiz und die Niederlande zählen dazu. Ein Faktor sind sicherlich die Industriestrompreise. Aber viele unserer Kunden wie DB Schenker operieren ohnehin in vielen Ländern gleichzeitig.
Aber der amerikanische Markt bleibt Freightliner vorbehalten, oder?
Wir verkaufen den Actros in vielen Märkten auf der ganzen Welt mit Ausnahme von beispielweise den USA, Kanada und Russland. Natürlich teilen wir mit den Trucks von Freightliner die Plattform, um Synergien zu schaffen. Aber wir haben keine Pläne, den eActros in die USA zu bringen, da er die dortigen regulatorischen Anforderungen und die Wünsche der Kunden nicht erfüllt. Mit dem Freightliner Cascadia, den es auch mit elektrischem Antrieb gibt, haben wir im Langstreckensegment einen Marktanteil von etwa 40 Prozent und sind hervorragend aufgestellt.
Wie sieht es mit China aus, dort haben Sie eben erst mit der lokalen Produktion des Actros begonnen?
Wir produzieren den Verbrenner-Actros dort im Rahmen unseres Joint Ventures mit Foton. Noch gibt es keine konkreten Pläne zur Einführung des eActros auf dem chinesischen Markt. Dieser ist sehr komplex und funktioniert anders als in Europa. Wir sind gerade dabei, unsere Strategie der Dekarbonisierung für die nächsten Jahre auszuarbeiten. Entscheidungen gibt es noch nicht.
Sie haben bereits elektrische Nutzfahrzeuge für verschiedene Anwendungsfälle im Angebot. Was sind aus Kundensicht die größten Herausforderungen?
Das ist sicher die Infrastruktur. Es geht nicht nur um den Mangel an öffentlichen Ladestationen. Auch die Einrichtung einer Stromtankstelle auf dem eigenen Gelände ist nicht immer einfach. Es muss etwa geprüft werden, ob das Netz dafür vorbereitet ist. In Deutschland kommt hinzu, dass es ein sehr fragmentiertes Feld ist mit vielen Akteuren wie Netzbetreibern oder Energieversorgern. Daher dauert das Genehmigungsverfahren oft sehr lange.
Wir haben über die Profitabilität aus Kundensicht gesprochen. Wie sieht es für das Unternehmen aus. Bringt der eActros die gleichen Margen?
Wenn wir einen solchen Truck entwickeln, dann wollen wir dies natürlich zu wettbewerbsfähigen Kosten tun. Aber klar ist, dass der elektrische Antrieb wie bei den Pkw teurer ist als herkömmliche Verbrennungsmotoren. Was den Preis angeht, haben wir bestimmte Vorstellungen. Wir wollen den Umstieg für unsere Kunden attraktiv machen und gleichzeitig erwarten wir eine vergleichbare Marge wie bei einem Diesel-Lkw zu erzielen. Die genaue Preisgestaltung hängt je nach Markt auch von Förderungen und anderen Faktoren ab. Ende des Jahres, wenn der eActros in den Verkauf geht, sind wir schlauer. Ich bin aber überzeugt, wir haben ein vernünftiges Paket für die Kunden geschnürt.
Mit welchen Stückzahlen planen Sie ab Ende 2024, wenn der eActros in Serie gefertigt wird?
Noch vor dem Verkaufsstart ist das schwer vorherzusagen, aber wir rechnen mit einem steilen Hochlauf. Das Interesse unserer Kunden ist enorm. Außerdem handelt es sich um das Segment, das ein großer Hebel bei der CO2-Reduzierung der Flotten sein kann. Deshalb werden die Zahlen deutlich relevanter als bisher sein. Europaweit liegt der Anteil aktuell noch bei einem kleinen Bruchteil.
Sie haben neben der Batterie viel in die Brennstoffzelle investiert. Brauchen Sie die jetzt noch?
Wir haben uns alle Szenarien angeschaut, auch das mit einem rein batterieelektrischen Hochlauf. Aber nach heutigem Wissenstand wird es eine Kombination beider Technologien sein. Natürlich hat die Brennstoffzelle Vorteile wegen der größeren Reichweite, einer höheren Nutzlast und schnellerer Tankzeiten. Aber der Hauptfaktor wird die Infrastruktur sein. Um sechs Millionen Lkw in Europa mit Strom zu versorgen, braucht es Unmengen grüner Energie.
Und die gibt es nicht?
Zumindest nicht überall da, wo sie benötigt wird, nämlich entlang der Autobahnen. Die letzten 25 Prozent der Infrastruktur würden einen unfassbaren Aufwand erfordern, um die Netze zu stärken für die Ladepunkte, die in Zukunft teils im Megawatt-Leistungsbereich laden sollen. Da ist der zusätzliche Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur im Vergleich günstig. Auch andere Sektoren wie die Stahlindustrie werden zudem Wasserstoff benötigen.
Wann wird der Durchbruch kommen?
Das ist sehr schwer zu sagen. Ich glaube schon, dass 2030 der Anteil an batterieelektrischen Lkw höher sein wird. Aber das hängt maßgeblich davon ab, was grüner Wasserstoff an der Tankstelle im Vergleich zu grünem Strom kostet. Kleine Preisänderungen können erhebliche Auswirkungen auf den Markt haben.
Was macht die Transformation mit dem Unternehmen Daimler Truck?
Ich sehe in erster Linie, dass der Wandel unsere Mitarbeiter unglaublich motiviert. Es kommen plötzlich junge Menschen zu uns, die aktiv etwas für den Klimaschutz tun wollen. Das gilt auch für mich selbst. Bevor ich zu Daimler Truck kam, habe ich daran gedacht, für eine Nicht-Regierungsorganisation zu arbeiten. Aber dann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich im Transportsektor im Sinne der Nachhaltigkeit unheimlich viel bewegen kann.
Der Vertrag von Truck-Chef Martin Daum läuft noch bis 2025. Wären Sie bereit für die Nachfolge als erste Frau an der Spitze eines deutschen Dax-Konzerns?
Ich bin die erste Frau in der Geschichte an der Spitze von Mercedes-Benz Trucks. Das bedeutet unheimlich viel für mich und erfordert meine komplette Aufmerksamkeit, denn die Herausforderungen während der Transformation sind groß. Über alle anderen Dinge mache ich mir keine Gedanken.
Aus dem Datencenter:
Frauenanteil in Aufsichträten von Dax- und MDax-Unternehmen