Früher war es ein Pflichttermin im Tourneekalender der PS-Welt und die Bühne für wichtige Premieren fern der Heimat. Der erste Maybach, die Zwölfzylinder von VW - wenn die deutsche Autoindustrie etwas wirklich besonders zeigen wollte, dann hat sie das in Tokio getan. Doch der Zeiten, in denen die Tokio Motor Show mit einer Top-Besetzung glänzen konnte, sind lange vorbei. Und das liegt nicht allein am Niedergang der Automessen im Allgemeinen und an der Pandemie im Besonderen. Sondern das liegt vor allem im Abstieg der Gastgeber: Waren die Japaner früher mal technologisch führend und haben mit konkurrenzlos effizienten Produktionsmethoden die ganze Industrie auf Trab gebracht, sind sie heute allenfalls noch zweite Liga - abgelöst erst von den Koreanern und dann von den Chinesen, die längst zu den neuen Schrittmachern der Branche geworden sind. "Früher waren sie mal Vorreiter, heute sind sie allenfalls noch Mitläufer, wenn nicht gar Nachzügler" fällt Stefan Bratzel von der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach ein hartes Urteil.
Die Zahlen spiegeln das nur zum Teil wider: Ja, der Automarkt im Land ist um 6,2 Prozent gesunken, und die Produktion im Land ist seit Jahren ebenfalls im Rückschritt, zuletzt ist sie um 0,8 Prozent gesunken. Doch so schlecht ist die Bilanz trotzdem nicht, die von der Japan Auto Manufacturers Association im Vorfeld der Messe vorgelegt hat: Danach sind im letzten Jahr immerhin noch 3,45 Millionen Autos in Japan verkauft worden, die Inlandsproduktion lag bei 6,6 Millionen Fahrzeugen und die Werke der Japaner in Europa, USA, Afrika und dem Rest der Welt kommen noch einmal auf 17 Millionen.
"Toyota ist nach wie vor der größte Hersteller der Welt, ist in Europa auf dem höchsten Marktanteilsniveau der Firmengeschichte und in den USA nicht so weit davon entfernt", sagt Arthur Kipferler, Partner beim Strategie-Berater Berylls in München: Wenn einem das nahezu ohne Elektroauto gelingt, kann der Kurs nicht ganz so falsch sein, gibt er zu bedenken. Erst recht, weil die Japaner dabei auch noch auch richtig gute Gewinne machen. Und von der neuen Weltordnung hätten sie sich ein Stück abgekoppelt. "Der Heimatmarkt ist eine Burg, die zwar schrumpft, die aber kein anderer Hersteller einnehmen kann – weder aus Japan, noch von sonst irgendwoher", sagt Kipferler. Und während nicht zuletzt die Deutschen im großen Stil abhängig von China seien, habe Toyota dort einen kleineren Fußabdruck und entsprechend weniger zu verlieren.
So wollen Toyota und Co. wieder nach vorn kommen
Wenn diese Woche in Tokio die neue Japan Mobility Show eröffnet, wollen Toyota und Co. beweisen, dass auch sie die Zeichen der Zeit erkannt haben. Das ist auch bitter nötig. Denn zuletzt hatten die Japaner wenig Grund zur Freunde.
Ähnlich viel Lob findet Kipferler für Honda, selbst wenn man sie bei uns in Europa kaum wahrnimmt: Honda sei schon lange kein Generalist mehr und habe sich aus vielen Märkten und Segmenten zurückgezogen, sagt der Berylls-Partner: "Aber dort, wo sie aktiv sind, sehe ich durchaus Erfolge."
Wenn die Experten über "die Japaner" sprechen, dann meinen sie fast ausschließlich Toyota und Honda. Nissan hat keiner auf dem Zettel, weil die Nummer drei nach den Chaosjahren in der Allianz mit Renault ihre neue Rolle noch nicht gefunden hat, Mazda ist zu klein für große Sprünge und alle anderen Akteure sind in irgendwelchen Kooperationen und Beteiligungen aufgegangen. Einzig Suzuki sticht da noch heraus, sagt Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer: "Mit ihren Einfach-Autos und kleinen Geländewagen haben sie sich erfolgreich eine Entry-Position im Markt erarbeitet und machen zudem in vielen Schwellenländern große Stückzahlen."
Toyota die Nummer 1 in der Welt, Honda zumindest in Japan und Amerika eine dicke Nummer und Suzuki als beste Budget-Marke: Die Bilanz mag zumindest bei einzelnen Herstellern imposant sein, aber das Image Japans als Automobilnation ist verblasst: "Bei allen unseren Rankings der Innovationen sind die Japaner abgestürzt", sagt Bratzel: Und bei keinem der großen Trends, die gerade die Autobranche definierten, seien sie vorne dabei: "Nicht bei der Elektrifizierung, nicht bei der Digitalisierung und dem Infotainment und auch nicht beim autonomen Fahren."
Die Analysten bewerten den Stand den Japaner im Allgemeinen und die einzelnen Firmen im Besonderen sehr unterschiedlich. Zwar sind sie sich alle einig, dass Toyota & Co als Taktgeber an Bedeutung verloren haben - selbst wenn Toyota noch immer der größte Hersteller der Welt ist und deshalb wirtschaftlich noch immer die allererste Geige spielt.
Und sie alle sehen den Grund vor allem im sturen Festhalten am Hybrid für die aktuelle CO2-Reduktion und dem Fokus auf die Brennstoffzelle als Technik für eine bessere Zukunft. "Sie haben den Trend zum batterieelektrischen Auto lange nicht wahrhaben oder annehmen wollen", sagt Bratzel.
Doch während etwa der Professor aus Bergisch Gladbach ein düsteres Bild zeichnet, nennt Ferdinand Dudenhöffer die Skaleneffekte von Toyota als anhaltende Stärke: Der Weltmeister sei so groß, dass sie nahezu jede Technik billiger produzieren und einführen könnten als jeder andere Hersteller. "Das hat ihnen beim Hybrid-Antrieb geholfen und das kann sich Toyota auch beim Umstieg auf die E-Mobilität zunutze machen, wenn sie damit dann jetzt mal langsam anfangen", so Dudenhöffer.
Und Kipferler lobt sogar den Eigensinn, den Toyota und Honda bei der vermeintlichen Antriebswende bislang an den Tag legen. "Die Japaner lassen sich in ihren Entscheidungen nicht treiben. Sondern sie haben rational abgewogen und für sich festgesetzt, dass der batterieelektrische Antrieb aktuell nicht die sinnvollste Lösung ist. Deshalb die Liebe zum Hybrid und das Beharren auf der Brennstoffzelle."
Das Problem: "Sie haben die Rechnung ohne Politik und Gesellschaft gemacht, die weniger rational entscheiden und die Japaner damit unter Zugzwang gesetzt haben", sagt Kipferler. Dass Toyota und Honda deshalb erst jetzt notgedrungen umschwenken, das mag zwar als späte Entscheidung erscheinen und am Image kratzen, räumt Kipferler ein. Aber vielleicht ist das auch genau die richtige Strategie: "Sie lassen andere Firmen voranstürmen und das Lehrgeld zahlen und steigen erst dann ein, wenn die Technologien oder Segmente reif dafür sind." Dann allerdings kommen sie gewaltig, weil sie ihre Kernkompetenzen und ihre Skaleneffekte voll ausspielen können. Gut möglich, dass deshalb der Zwischenspurt aus der zweiten Reihe wieder an die Spitze führt, oder zumindest zurück in die erste Liga.
Und auch mit Blick auf die Motorshow in Tokio könnte sich der vermeintliche Abstieg als Vorteil erweisen. Denn vom neuen BMW X2 einmal abgesehen, sind Premieren aus dem Ausland nicht zu erwarten. Stattdessen bespielen VW, Mercedes & Co die Messe nur als lokale Show aus dem Markt heraus und die Japaner haben die Bühne für sich allein. Das nutzen sie in einer derart imposanten Weise aus, wie man es zuletzt selten bei einer Messe gesehen hat – die IAA in München explizit eingeschlossen; Mehr als ein Dutzend Studien haben sie bereits angekündigt und jede Menge neuer Serienmodelle. Und es scheint, als hätten die Japaner die Zeichen der Zeit verstanden. Denn fast alle bedienen sie neben dem Hang zu verspieltem Design und fast schon comichaften Karosserien – endlich - die gerade vorherrschenden Trends – Elektrifizierung, Digitalisierung und autonomes Fahren. Ja, selbst die Messe geht mit der Zeit und öffnet ihre Pforten unter neuem Namen – als Japan Mobility Show.
Aus dem Datencenter: