Mahle-CEO Arnd Franz zu CO2-Zielen: "Europa würde einen großen Fehler machen"

Wie viele Zulieferer befindet sich auch der Mahle-Konzern derzeit in einer schwierigen Umbau-Phase. CEO Arnd Franz spricht im Interview mit der Automobilwoche über rückläufige Kundenabrufe, Überkapazitäten nicht nur bei VW und die Chancen in China. Zudem erklärt er, was droht, sollte die EU am strikten Verbrenner-Aus im Jahr 2035 festhalten.

Herr Franz, wie ist die Stimmungslage bei Mahle im Moment?

Im derzeitigen Umfeld überlagern sich belastende Effekte. Zur hohen Inflation, die das verfügbare Einkommen einschränkt, kommen die politischen Regulierungen mit einer erhöhten Unsicherheit. Außerdem haben wir speziell in Deutschland strukturelle Probleme wie die überbordende Bürokratie, die mangelhafte Infrastruktur oder die rückständige Digitalisierung. Das ist eine außergewöhnliche Häufung.  Aber wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, Krisen zu managen. Mit unserer Strategie MAHLE 2030+ halte ich das Unternehmen für gut gerüstet.

Woran machen Sie das fest?

Wir haben nicht alles auf ein Pferd gesetzt und verfolgen mehrere technologische Pfade. Der Wettbewerb zwischen batterieelektrischem Antrieb, Brennstoffzelle oder nachhaltigem Verbrenner, wie dem Wasserstoffmotor, ist der richtige Weg. Wir sind überzeugt, dass batterieelektrische Antriebe in den entwickelten Märkten eine führende Rolle einnehmen werden.

Aber im Nutzfahrzeug auf der Straße brauchen wir auch wasserstoffbasierte Lösungen für weitere Strecken und größere Nutzlasten, während bei Land- und Baumaschinen größere Lastanforderungen und Auslastungen die Treiber für diese Technologieanwendung sind.

Werden Nutzfahrzeuge wichtiger, wenn der Pkw schwächelt?

Das Nutzfahrzeuggeschäft war schon immer wichtig für Mahle, sowohl auf als auch abseits der Straße. Wir beliefern rund 120 Kunden in diesem Segment. Es macht über 20 Prozent unseres Erstausrüstungsgeschäfts aus, in allen Regionen der Welt. Die konjunkturellen Ausschläge sind hier zwar größer, und das Geschäft ist ebenfalls getrieben von verschärften Emissionsregeln. Aber wir glauben, dass wir hier in Zukunft wachsen werden.

Warum?

Wir sind in allen aktuellen elektrifizierten Lkw vertreten und an allen großen Brennstoffzellen- und Wasserstoffmotorprojekten beteiligt. Mit der Elektrifizierung wächst der Mahle-Lieferumfang pro Fahrzeug, weshalb wir uns im Vergleich zum Diesel-Antrieb steigende Umsätze versprechen. Bei der Brennstoffzelle ist der Mahle-Anteil noch einmal deutlich höher. Daher sind beide Antriebsarten für uns sehr attraktiv. Und wir sind überzeugt, dass wir dafür die richtigen Lösungen bereitstellen.

Was erwarten Sie für das Jahr?

Wir haben unsere Markt- und Umsatzprognosen über mehrere Monate hinweg jeweils nach unten korrigieren müssen. Das ist das Ergebnis rückläufiger Kundenabrufe. Ich glaube, dass wir 2024 insgesamt kein Wachstum erzielen, sondern eher einen leicht rückläufigen Umsatz verzeichnen werden. Was den Gewinn angeht, hatten wir im ersten Halbjahr eine solide Entwicklung, aber die nächsten Monate bleiben sehr anspruchsvoll.

Wann sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?

Ich halte auch 2025 noch für ein sehr anspruchsvolles Jahr, weil die schärferen CO2-Emissionsvorschriften den Markt beeinflussen werden. Die Hersteller müssen verstärkt elektrische Fahrzeuge verkaufen, um Regulierungsanforderungen zu erreichen. Verbrenner werden voraussichtlich kontingentiert in den Markt kommen. Das bedeutet, dass wir nur schlecht planen können, was uns das Leben zusätzlich erschwert.

Erwarten Sie Auswirkungen aus der VW-Krise?

Das lässt sich noch nicht sagen. Klar ist, dass wir in Europa seit einigen Jahren Überkapazitäten haben. Das gilt nicht nur für die Hersteller, sondern auch für die Zulieferer. Diese Überkapazitäten müssen bereinigt werden. Aber durch den Hochlauf der Elektromobilität und der unsicheren Position des Verbrenners, sind belastbare Entscheidungen hier schwer zu treffen.

Gefühlt sind alle Zulieferer durch mit ihren Abbau-Programmen. Wie sieht es bei Mahle aus?

Wir führen an unseren deutschen Standorten mit den Arbeitnehmern und den Mitarbeitenden einen Transformationsdialog. Dieser sieht eine Beschäftigungssicherung bis Ende 2025 vor. Daran werden wir uns halten. Bis dahin arbeiten wir konzentriert, ohne uns zu Zahlen zu äußern. Wir fangen nicht bei Null an. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Strukturen kontinuierlich angepasst.

Aber ist der Druck aktuell nicht besonders groß?

Natürlich nutzen wir alle Möglichkeiten, die uns die heutigen Vereinbarungen geben, um auf Nachfrageschwankungen zu reagieren. Über die Flexibilisierung der Arbeitszeiten oder auch, indem Stellen nicht mehr nachbesetzt werden.

Sie haben viele kleine Standorte, geht die Tendenz zu größeren?

Global kann man das sagen, weil größere Standorte wirtschaftlicher sind. Was Netzwerkbereinigungen angeht, haben wir schon viel gemacht. Wir haben auch in Deutschland Standorte geschlossen. Wir werden das Thema im Transformationsdialog weiter verfolgen. Klar ist: Wenn das Verbrenner-Aus tatsächlich wie geplant kommt, werden wir mehr Standorte und mehr Beschäftigte verlieren, als wenn es nicht so kommt.

Sie sind also für eine Korrektur der Ziele?

Die Überprüfung muss spätestens 2025/2026 kommen, damit wir Klarheit haben. Das ist der „Point of no Return“. Europa würde einen großen Fehler machen, wenn es bei den heutigen Plänen bliebe – in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit und auch die Kunden. Wir müssten unsere Kompetenzen in diesem Technologiefeld nach China oder in die USA verlagern – und damit in Europa sicher mehr Werke schließen und Arbeitsplätze abbauen, als wenn Raum bliebe für Hybridantriebe oder Motoren, die mit nachhaltigen Kraftstoffen betrieben werden.

Rechnen Sie noch mit wachsenden Stückzahlen?

Wir sehen nicht, dass Europa wieder auf den Stand von 2018 zurückkommt, zumindest in diesem Jahrzehnt. Dazu müssten das Wirtschaftswachstum und das Pro-Kopf-Einkommen in Europa nochmals deutlich anziehen. Die Ukraine müsste als Markt erschlossen werden. Passiert das nicht, sind wir sehr skeptisch, was die weiteren Potenziale in Europa angeht.

Alle Augen also auf China?

Mahle kann in Asien deutlich wachsen. Wir sind aktuell etwa bei einem Fünftel des Umsatzes, da ist noch Luft nach oben. Wir haben eine klare Strategie in Richtung chinesische, aber auch Richtung japanische OEMs. Und wir haben eine klare Strategie für Indien. Das heißt, Mahle wird auf einer guten Basis sicher weiter in sein Produktions- und Entwicklungsnetzwerk in Asien investieren.

Aber die Konkurrenz drückt auch nach Europa. Wie können Sie sich hier behaupten?

Unsere Heimat ist in Stuttgart, aber wir sind ein global agierender Konzern. Wenn wir in China antreten, sorgen wir dafür, dass wir chinesisch denken und agieren und damit auch wettbewerbsfähig sind. Wir haben beispielsweise unser Entwicklungszentrum für Elektromobilität in Changshu deutlich ausgeweitet. Das Gleiche gilt für Japan und Indien. Deshalb werden wir unseren regionalen Fokus stärken, um in jedem Markt zu den dort gegebenen Bedingungen erfolgreich zu sein. Das gilt auch für Europa.