Wie KI die Entwicklung von Reifen beschleunigt

Viele Reifenhersteller nutzen digitale Simulationen, um Entwicklungsprozesse effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Eine der größten Vorteile sieht Florian Waffenschmidt, Leiter des Virtual Development Center (VDC) bei Pirelli Deutschland, in der „präziseren Abstimmung auf einzelne Fahrzeugmodelle“. Dank hoch entwickelter Simulationen können Reifen so bereits frühzeitig exakt auf spezifische Fahrzeugtypen optimiert werden, noch bevor physische Prototypen gefertigt werden müssen.

Zudem sorge die virtuelle Entwicklung für mehr Effizienz. „Die Entwicklungszeit verkürzt sich um bis 30 Prozent, da zahlreiche physische Testschleifen entfallen. Gleichzeitig reduziert sich der Material- und Produktionsaufwand, da unnötige Prototypen vermieden werden können“, erläutert Waffenschmidt.

Vorteile sieht er auch im Bereich Nachhaltigkeit. „Der Materialverbrauch sinkt um bis zu 30 Prozent, da weniger physische Testreifen benötigt werden.“ Darüber hinaus führe der geringere Bedarf an realen Testfahrten zu signifikant geringeren CO2-Emissionen.

Künstliche Intelligenz und neuronale Netze sind dabei zentrale Bestandteile der virtuellen Reifenentwicklung bei Pirelli. „Sie beschleunigen nicht nur den Entwicklungsprozess, sondern erhöhen auch die Präzision der Simulationen“, sagt Waffenschmidt. So ließen sich „fundierte Entscheidungen“ über die optimale Reifencharakteristik bereits in frühen Entwicklungsphasen treffen.

Laut Waffenschmidt ermögliche es KI, Simulationsprozesse erheblich zu beschleunigen. „Analysen, die früher Tage in Anspruch nahmen, können heute in Sekunden durchgeführt werden.“ Dies geschehe durch den Einsatz neuronaler Netze, die riesige Datenmengen simultan verarbeiten und genaue Vorhersagen über das Verhalten eines Reifens in verschiedenen Fahrszenarien ermöglichen.

Einen weiteren Vorteil sieht er im Einsatz von maschinellem Lernen. „Es führt zu noch präziseren Ergebnissen und trägt dazu bei, die Entwicklungskosten zu senken, während gleichzeitig die Qualität und Leistung der Reifen weiter verbessert wird.“

Der Zulieferer hatte sein VDC Mitte Dezember in Breuberg eröffnet. Insgesamt beschäftigt der Zulieferer am hessischen Standort rund 2500 Mitarbeiter, darunter 250 Ingenieure in der Entwicklung. „Pirelli hat allein am Standort Breuberg mehrere Millionen Euro in die Digitalisierung der Reifenentwicklung investiert, darunter in Server-Infrastrukturen, modernste Software, Netzwerke und die Anbindung an Hochleistungsrechenzentren“, erklärte der Pirelli-Manager.

Auch bei Michelin ist die virtuelle Reifenentwicklung ein zentrales Werkzeug, um Innovationen schneller und nachhaltiger voranzutreiben. Diese Technologie ist für den französischen Zulieferer sowohl im Rennsport als auch in der Erstausrüstung von Hochleistungsfahrzeugen unverzichtbar.

„Mit mathematischer Modellierung optimieren wir Dimensionen und Technologien, um den immer kürzeren Innovationszyklen gerecht zu werden“, erklärt Markus Bast, Managing Director für Michelin Deutschland.

Als Beispiel nennt er das 2023 entwickelte Hypercar-Reifensortiment für das 24-Stunden-Rennen in Le Mans, das komplett am Simulator konzipiert wurden. Bast verweist zudem auf erhebliche Einsparungen durch die virtuelle Reifenentwicklung „insbesondere durch den Wegfall zahlreicher Testfahrten und physischer Prototypen“.

Bei Continental spielt die virtuelle Reifenentwicklung eine zentrale Rolle. Seit 2022 testet der Zulieferer unter anderem mithilfe des sogenannten Analytical Vehicle AIBA (AVA). Dabei handelt es sich um ein vollelektrisches und fahrerloses Prüffahrzeug, das statt eines Serien-Pkws oder Vans eingesetzt werden kann, um fahrzeugunabhängige Tests durchführen zu können.

In seinem sogenannten Driver-in-the-Loop-Simulator simuliert der Zulieferer seit 2023 auf seiner Teststrecke Contidrom sämtliche Fahrzeugmodelle mit Reifen aller Fahrzeug- und Antriebsvarianten. Hierbei lassen sich die Reifenparameter in Echtzeit digital anpassen. Dabei berechnet der Simulator exakte fahrdynamische Eigenschaften der Reifen und des jeweiligen Testfahrzeugs. Dafür laden die Ingenieure sowohl die Daten sowohl der Fahrzeuge als auch der Reifen in das System des Fahrsimulators.

Die Reifendaten enthalten Informationen zu Reifenkonstruktion, Profilgestaltung und Gummimischung. Ein realer Testfahrer fährt in der Simulation dann ein spezielles Reifenmodell für eine bestimmte Fahrzeugvariante, genau wie auf einer realen Teststrecke.

Nach Angaben des Zulieferers lassen sich mit jedem virtuell getestetem Reifen im Fahrsimulator 400 reale Testkilometer einsparen. 2024 fanden bei Conti erstmals mehr Reifensimulationen und virtuelle Berechnungen statt als real durchgeführte Tests. „Simulationen werden jedoch Subjektiv- und Objektiv-Tests auf realen Teststrecken nicht vollständig ersetzen können“, ist der Zulieferer überzeugt.