Agenturmodell: Abgeräumt oder nur vertagt?

Eine Branche besinnt sich neu: In nur wenigen Monaten war der Agenturvertrieb im vergangenen Jahr für die meisten Hersteller abgeräumt. In den Krisenjahren hatten viele von ihnen noch auf die Umstellung des Vertriebs gesetzt. Damit wollten sie Kosten sparen und mehr verdienen.

Doch mit der Änderung der Rahmenbedingungen drehte sich die Ansicht: Überproduktion und darauf folgende Rabatte ließen viele Hersteller am klassischen Händlersystem festhalten – mit Ausnahme von Mercedes, BMW und einigen Kleinstmarken im Null-Prozent-Bereich.

Doch die Entwicklung trügt: „Ich glaube nicht, dass das Thema für immer vom Tisch ist“, sagt Thomas Peckruhn, Vizepräsident beim Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe. „Wenn sich die Rahmenbedingungen wieder ändern, kommt es wieder hoch.“

Peckruhn ist bei weitem nicht der Einzige mit dieser Einschätzung. Auch Joachim Deinlein, Partner bei AT Kearney, ist überzeugt, dass Änderungen im Automobilvertrieb notwendig sind: „Jetzt einfach zurück ist aus meiner Sicht keine Lösung. Die Nachteile des klassischen Händlervertriebs bleiben ja weiterhin für die Hersteller bestehen“, so Deinlein. Hersteller und Händler würden eine engere Zusammenarbeit brauchen.

Denn schon vor den Krisenjahren hat sich die Situation massiv geändert. Mit der Umstellung auf das Agenturmodell wollten die Hersteller den damaligen Rahmenbedingungen Rechnung tragen:

• E-Commerce: Hersteller wollten auf den Onlinehandel vorbereitet sein, nachdem dieser sich in anderen Branchen schnell durchgesetzt hatte. Eine entscheidende Rolle spielen dabei einheitliche Preise.
• Probleme des Händlersystems: Der Zugang zu Kundendaten ist für Hersteller von entscheidender Bedeutung, nicht zuletzt für die gezielte Ansprache von Kunden. Im klassischen Händlersystem hat der Partner vor Ort die Hoheit über Kundendaten.
• Intrabrandwettbewerb: Je nach Marke gibt es zwischen den Händlern große Preiskämpfe. Diese schmälern bei allen Beteiligten den Gewinn.
• Hohe Vertriebskosten: Etwa 30 Prozent der Fahrzeugkosten fallen im klassischen Händlersystem im Vertrieb an. Mit Tesla ist ein neuer Wettbewerber am Markt, der durch seinen Direktvertrieb deutlich geringere Kosten hat.

Mit der Umstellung des Vertriebsmodells wollten die Hersteller eine Antwort auf den klassischen Händlervertrieb finden. „Ziel war es, doppelte Arbeit und Ineffizienz zu vermeiden, und dadurch Kosten zu sparen. Das Agenturmodell erschien als beste Alternative, um diese Ziele zu erreichen“, so Deinlein.

Doch mittlerweile ist klar: Verschiedene Rahmenbedingungen haben sich nicht so schnell eingestellt als erwartet. Beispiel E-Commerce: Der reine Onlinevertrieb spielt bislang eine untergeordnete Rolle. Zwar ist das Internet aus der Customer Journey nicht mehr wegzudenken, aber nur wenige kaufen ihr Fahrzeug komplett im Netz. Im Gegenteil. Zuletzt hat sich die Zahl der Händlerbesuche wieder erhöht.

„Die Komplexität das Agenturmodells wurde von allen stark unterschätzt“, sagt Deinlein. Das gilt beispielsweise für die IT-Landschaft in der Autobranche. „Im Retail gibt es zahlreiche unterschiedliche Dealer Management Systeme, entsprechend uneinheitlich ist es im Großhandel. In der Zusammenarbeit fehlen standardisierte Prozesse.“

Und die ließen sich in kurzer Zeit nicht herstellen. Denn nachdem in der Lieferkrise die Transaktionspreise nach oben geschossen waren, wollten Hersteller möglichst rasch umstellen.

Längst ist der Markt gekippt: Mittlerweile hat das Angebot die Nachfrage deutlich überholt. Die Werke produzieren, aber die Käufer bleiben aus. Die meisten Hersteller besinnen sich wieder auf die Vorteile des klassischen Händlervertriebs.

Aber auch mit allen Nachteilen. Denn viele Hersteller müssen sparen und bauen Stellen ab. Das geht am Vertrieb nicht spurlos vorbei. Volkswagen hat den Händlern bereits angekündigt, die ursprünglich geplanten Einsparungen in der BEV-Agentur nun im klassischen BEV-Vertrieb umzusetzen.

„Es gibt natürlich noch einiges Potenzial, wo man auch im klassischen Händlervertrieb sparen kann“, sagt Deinlein. „Aber man muss aufpassen, dass es nicht zu Lasten der Qualität vor dem Kunden geht.“

Will man Kosten herausnehmen, ist aus Deinleins Sicht ein ganzheitlicher Blick entscheidend – man muss sowohl die Großhandels- als auch die Einzelhandelsperspektive im Blick haben und das Gesamtvertriebssystem sehen.