Agenturvertrieb: Hersteller korrigieren ihre Pläne

Nach dem Höhenflug kommt oft die harte Landung. Mit dem Agentursystem haben Hersteller große Hoffnungen verbunden: geringere Vertriebskosten und Nachlässe, höhere Preiskontrolle und direkter Draht zum Kunden. Doch die Vorteile gibt es nur mit großem Aufwand. Das wird immer klarer.

Dies war kein Problem, solange die Nachfrage höher war als das Angebot. In dieser Zeit schmiedeten viele Hersteller ihre Agenturpläne. Doch in den vergangenen Monaten hat der Markt in Deutschland mit hohem Tempo gedreht. Das Angebot an Neuwagen übersteigt längst die Nachfrage.

Das bedeutet für die Hersteller vor allem eines: Realitätscheck für die Agenturpläne. Einige verschieben die Einführung des neuen Vertriebssystems, andere sagen sie gleich ganz ab.

Volkswagen will dagegen die unechte Agentur ausweiten, doch das hängt mit der spezifischen Situation im Konzern zusammen. Die Umstellung, damit Händler Fahrzeuge im Namen des Herstellers vermitteln, statt sie selbst auf eigene Rechnung zu verkaufen, wird im Normalmarkt neu bewertet.

„Ich glaube nicht, dass das Agenturmodell OEMs und Händler so auf eine Linie bringt, dass die Kunden davon profitieren“, sagte Ineos-Chefin Lynn Calder der Automobilwoche.

Das Agenturmodell sei in einer Zeit mit großer Nachfrage geboren. Jetzt ist die Situation eine andere. „Als neuer Hersteller ohne Erfahrungen haben wir gute Gründe, den Verkauf Händlern zu überlassen.“

Bei vielen Herstellern, vor allem aus China, zeigte sich, dass Händler für den Erfolg einer noch jungen Marke eine entscheidende Rolle spielen. Tesla ist hier eher die Ausnahme. Je nach Land setzt Ineos auf Händler, Agenten oder hat den Vertrieb einem Importeur übergeben.

„Wir haben völlig unterschätzt, welchen Verwaltungsaufwand das Agenturmodell für den Hersteller mit sich bringt“, so Calder. So muss der Hersteller Callcenter betreiben und die Fahrzeuge zulassen.

Calder ist nicht die Einzige, die den ehrgeizigen Agenturplänen misstraut. Eine Reihe kleiner und großer Hersteller kehrt dem System bereits den Rücken. Zuletzt hat Agentur der Agentur eine Absage erteilt, zuvor bereits die Konzernschwester Land Rover in ihrem Heimatmarkt.

Lotus hält am Händlersystem fest, Microlino dreht das Rad wieder zurück und gibt den Partnern neue Verträge. Und auch Big Player Ford nimmt von seinen einstigen Agenturplänen Abstand.

Volkswagen dagegen hat erste Gespräche für die Ausweitung des Agenturmodells auf Verbrenner geführt. Frühestens 2027 könnte der Sprung zur Vollagentur stattfinden. Seit rund vier Jahren sammelt die Marke Erfahrungen mit der E-Auto-Agentur.

„Das Agentursystem ist ein Nachfrage-orientiertes Modell. Wenn Nachfrage und Produktion passen, kann man damit gut arbeiten“, sagt Deutschland-Chef Achim Schaible. Nach der Einführung hatte der Hersteller gute Jahre, doch nun spürt VW die Rückkehr zum Normalmarkt.

Hinzu kommt das Nebeneinander zweier Systeme: Händler verkaufen Verbrenner und vermitteln E-Autos. Für die Partner ist der Anreiz groß, das zu vertreiben, woran sie mehr verdienen. Im Agenturmodell erhalten sie eine Vergütung von vier Prozent fix und zwei Prozent flexibel. Im Händlervertrieb liegt die fixe Marge bei zehn Prozent, die flexible bei rund sechs Prozent.

„Wir brauchen eine bedingungslose Unterstützung in der Kundenansprache und -akquise. Das müssen wir gemeinsam machen“, sagt Schaible. „Wenn ein Kunde spontan ins Autohaus geht und sich für ein Elektroauto interessiert, muss der Verkäufer genauso aktiv werden, wie wenn es sich um einen Verbrenner handelt.“ Das sei in der Anfangsphase eine Hemmschwelle gewesen, habe sich aber mittlerweile gut entwickelt.

Während das Doppel-System eine VW-spezifische Situation ist, treffen die Überkapazitäten die gesamte Branche. „Eine hohe Agenturdisziplin war für Hersteller in den vergangenen Jahren keine Herausforderung, solange sie die Nachfrage nicht bedienen konnten“, sagt Augustin Friedel.

Der Senior Manager von MHP hat jüngst für den Flottenverband VMF eine Studie über das Agenturmodell und seine Auswirkungen gemacht. „Jetzt kommen die Hersteller in eine Situation, die sie zuvor für nicht mehr möglich gehalten haben. Sie müssen jetzt ihre Kapazitäten anpassen, oder die Agenturdisziplin leidet.“

Die meisten Hersteller schöpfen ihre Werke nicht voll aus. In seinen europäischen Fabriken hat die Volkswagen-Gruppe laut dem Datenspezialisten MarkLines eine Auslastung von 85 Prozent.

BMW (72 Prozent), Mercedes (58 Prozent) und Stellantis (67 Prozent mit drei ruhenden Werken) kommen an den Wettbewerber nicht heran, erreichen aber aufgrund effizienterer Strukturen zum Teil früher den Break-even. 

In den guten Jahren schafften es viele Hersteller nicht, Instrumente einzuführen, die Kapazitäten in den Produktionsverbünden flexibler steuern. Dafür sorgten etwa die starken Gewerkschaften.

Jetzt müssen die Hersteller ihre Werke trotz schwacher Nachfrage auslasten. „Bislang fehlt den Herstellern die Flexibilität, die Produktion schnell anzupassen. Sie müssen die Fabriken am Laufen halten, sonst nehmen die Kosten überhand“, sagt MHP-Experte Friedel.

Doch es hapert nicht nur bei den Anpassungen in der Produktion, auch die Umstellungen im Vertrieb erweist sich als große Herausforderung. Viele Aufgaben verbleiben noch bei den Händlern, zum Teil unentgeltlich (Volkswagen), zum Teil – übergangsweise – mit einer entsprechenden Vergütung (Mercedes).

„Es muss noch viel an den Arbeitsalltag angepasst werden, aber das passiert gerade schrittweise“, sagt Friedel.

Hersteller müssen die Kompetenzen erst aufbauen. Das dauert. Sowohl Mercedes als auch BMW haben mehrere Hundert Stellen im Zuge ihrer Agenturpläne neu geschaffen, heißt es aus Handelskreisen.

„Hersteller entwickeln zunehmend Kompetenzen, um die Preise richtig zu setzen“, so Friedel. Wichtig sei, schnell zu reagieren. „Wir hatten Fälle, da hat es Wochen gedauert, bis der Hersteller auf eine Preisanpassung des Wettbewerbers reagiert hat. Das ist natürlich viel zu lange.“

Die Kompetenzen aufzubauen und am Laufen zu halten ist kostspielig. „Das hat funktioniert, aber nur mit einem sehr hohen Aufwand“, sagt Jörg Ullrich. Der Direktor Business Strategy bei Ford (DACH) erteilte dem Systemwechsel daher eine Absage. „Es ist wie mit dem Flug zum Mond. Das bekommt man hin, aber es ist ein extrem hoher Aufwand. Man schafft dies nicht regelmäßig in kurzen Abständen.“