Warum Jaguar ein Jahr lang auf Neuwagen verzichtet

Auf dem Weg nach oben startet Jaguar ohne Neuwagen: Wenn sich die britische Traditionsmarke ab 2025 als vollelektrische Luxusmarke positioniert, stehen rund ein Jahr keine Neuwagen zur Verfügung. Jaguar werde „ab Ende 2024 in bestimmten europäischen Märkten keine neuen Fahrzeuge mehr verkaufen“, sagte Jaguar-Chef Rawdon Glover dem britischen Magazin Autocar.

Der viertürige Elektro-GT ist das erste Fahrzeug der Luxus-Ära. Es soll laut britischen Medien zwar noch Ende dieses Jahres vorgestellt werden, aber erst ab 2026 im Handel sein.

Dies gilt auch für den deutschen Markt. Laut einer Sprecherin von Jaguar Deutschland sollen die Bücher in der zweiten Jahreshälfte 2025 für GT-Aufträge geöffnet werden, bevor er 2026 kommt.

Doch Händler fürchten, dass Jaguar diesen Zeitplan reißen könnte und die Durststrecke ohne Neuwagen im Showroom noch länger dauern. Durch den Neustart ohne Neuwagen wächst die Skepsis der Partner vor der Re-Positionierung der Marke.

Denn wenn Jaguar zur Luxusmarke wird, muss sich das auch im Vertrieb widerspiegeln. „Die Händler müssen die neuen Jaguar-Verträge erst bis November unterschreiben“, sagt Jan-Kas van der Stelt, Geschäftsführer JLR Deutschland. „Wie viel Standorte es am Ende sein werden, können wir noch nicht sagen.“
 
Im Netz herrscht große Verunsicherung. Die Händler gehen davon aus, dass die Zahl weiter deutlich sinkt. Demnach könnten es am Ende  noch zehn große Jaguar-Partner wie Feser-Graf, Glinicke und Emil Frey sein. Vielleicht sogar noch weniger. Diesen sollen wiederum kleinere Autohäuser als Satelliten angedockt werden.

Derzeit hat JLR Deutschland 82 Vertriebsstandorte. Davon haben 47 Betriebe einen Jaguar-Vertrag, die verbleibenden 35 Partner sind reinen Land-Rover-Händler. Hinzukommen 104 Service-Standorte, mehr als vier Fünftel haben beide Marken im Angebot. „Das ist eine gute Größe, um den deutschen Markt abzudecken. Wir müssen für Kunden erreichbar sein, er will nicht ewig fahren“, sagt van der Stelt.

Der Aufstieg der Marke geht mit dem Abstieg des Volumens einher. Wie stark der Absatz schrumpft, welches Potenzial er für Jaguar als Luxusmarke sieht, dazu möchte sich van der Stelt nicht äußern.

„Aussagen über Stückzahlen sind im Autohandel nicht mehr möglich.“ Dafür gäbe es zu viele Unsicherheiten, wie zum Beispiel die politischen Entscheidungen in Brüssel.

Es bleibt also die Ungewissheit über das künftige Absatzpotenzial. Aus Sicht des JLR-Deutschlandchefs ist aber auch das Volumen nicht entscheidend, sondern die Rendite.  „Im vergangenen Jahr hatten wir eine Händlerrendite von 4,4 Prozent. Die vier Prozent werden wir in diesem Jahr nicht knacken. Aber ich gehe davon aus, dass wir in jedem Fall über zwei Prozent liegen.“

Doch Volumen und Rendite sind entscheidend für den Gewinn, der bildet wiederum die Grundlage, ob sich eine Investition für einen Händler lohnt oder ob er es lieber bleiben lässt. Van der Stelt beschwichtigt: „Auf die Händler kommen in diesem Jahr allenfalls kleinere Investitionen mit den sogenannten ,Atomic Changes‘ im Innenraum zu.“

Dazu zählen Kleinigkeiten wie beispielsweise neueste Deko-Elemente und Blumen. Und in den nächsten Jahren? „Wir prüfen derzeit, wie wir die neue Markendarstellung mit den drei beziehungsweise vier Brands umsetzen können. Das machen wir aber nicht von heute auf morgen.“

In den vergangenen Jahren haben Händler bereits Millionen in ihre JLR-Standorte investiert. Das hat sich längst noch nicht bei allen amortisiert. Nun fürchten sie, dass „je nach Standort wieder siebenstellige Beträge“ fällig werden könnten. Für mehr Klarheit könnte eine Investorenkonferenz sorgen, die JLR in den nächsten Wochen veranstaltet.

Mit dem Aufstieg ins Luxus-Segment wandelt sich die Jaguar-Zielgruppe gravierend: Das Gros der Kunden zieht bei der Entwicklung nicht mit. Wie groß die Absprungrate ist, lässt sich laut van der Stelt nicht beziffern.

„Eine Größenordnung um die 80 Prozent könnte stimmen, da wir uns im Luxussegment positionieren und preislich erst bei rund 130.000 Euro starten werden.“ Auch hier sind Händler skeptischer. Sie fürchten, dass es eher 90 Prozent sein könnten.

In die Showrooms dürfte der Boutique-Stil Einzug halte, der bereits von Standorten in Großbritannien bekannt ist. Kleine Sitzecken, hochwertige Einrichtung, digitale Bildschirme.

Dazu Mitarbeiter mit neuen Aufgaben: Drei neue Rollen sollen Vertrieb und Service in den Autohäusern besser verknüpfen. Concierge (bislang Rezeptionist), Product Genius (bislang Verkäufer) und Client Experience Manager sollen für ein neues Kundenerlebnis sorgen.

„Die neuen Rollen führen für die Händler nicht unbedingt zu höheren Kosten“, ist van der Stelt überzeugt. „In vielen Fällen können bereits vorhandene Mitarbeiter die Aufgaben übernehmen: So könnte der Rezeptionist zum Concierge werden, der die Kunden durchs Autohaus führt.“

Nicht nur im Showroom wird die Neuausrichtung spürbar, auch in den Werkstätten. „Wir wollen auch den Service anheben, daran arbeiten wir aktuell mit unseren Partnern und einem Trainingsprogramm“, sagt van der Stelt. Aber die Entwicklung sei eher evolutionär als revolutionär. Ein Aspekt ist beispielsweise die Digitalisierung im Aftersales. Dadurch sollen die Partner bei der Administration bis zu 90 Prozent Zeit sparen.

Doch um die Werkstätten zu füllen, müssen die Partner erstmal Fahrzeuge verkaufen. Und das dürfte zur Herausforderung werden. Vor allem, wenn es keine Neuwagen gibt.