Warum VW der Auto-Verkauf nicht mehr so wichtig ist

Die VW-Tochter Financial Services steht in den Startlöchern mit dem Roll-out seiner neuen Mobilitäts-App und der dahinterstehenden Mobilitätsplattform. Als neue Europcar-App soll sie im ersten Quartal 2025 an den Start gehen und die Vorgänger-Version ersetzen.

„Wir wollen Anfang 2025 in allen relevanten Märkten damit starten“, kündigte VWFS-Chef Christian Dahlheim im Rahmen eines Pressgesprächs an. Was zunächst über die App des zum VW-Konzerns gehörenden Vermieter Europcar läuft, soll in einem weiteren Schritt an die jeweiligen Marken angepasst werden.

Doch die Einführung ist weit mehr als eine neue Software. Mit der Mobilitätsplattform ändert der Autobauer sein Geschäftsmodell: Bislang kauften Kunden in erster Linie die Fahrzeuge von Volkswagen, Skoda & Co. Künftig sollen sie diese nur noch nutzen. Neudeutsch fasst man das Angebot unter „Vehicle on Demand“ zusammen.

Über die App können Kunden künftig also Fahrzeuge leasen oder mieten, sich für ein Abo entscheiden oder Carsharing nutzen. Nicht alle Angebote will der Konzern selbst machen. Bei Carsharing wird der Konzern eher mit strategischen Partnern zusammenarbeiten.

Damit geht vor allem eines einher: Volkswagen bleibt im Besitz der Fahrzeuge. Und das nicht während des ersten Leasing-Zyklus', sondern über den gesamten Fahrzeug-Lebenszyklus. Bereits jetzt bleiben etwa 60 Prozent der Neuwagen in den Büchern des Konzerns.

Das will VWFS weiter ausbauen: 80 Prozent der vertriebenen Elektroautos sollen künftig in den Büchern des Finanzdienstleisters stehen, bei Verbrennern soll es etwa jeder zweite sein.

Je nach Leasingvertrag geben Kunden die Fahrzeuge in der Regel nach zwei bis vier Jahren zurück. VWFS kann also ein weiteres Mal entscheiden, wie das Fahrzeug wieder am besten auf dem Markt kommt. Ziel von VWFS ist es, dass im zweiten Zyklus noch 60 Prozent der Rückläufer in den Büchern des Dienstleisters bleiben. Im dritten Zyklus sollen es dann noch 40 Prozent der Rückläufer sein.

Wenn die Strategie aufgeht, bringt sie viele Vorteile mit sich. An jedem neuen Leasingvertrag verdient VWFS 600 bis 700 Euro plus Versicherung. Doch ein anderer Aspekt ist noch entscheidender: Die Fahrzeuge bleiben in den Werkstätten der VW-Partner. Dadurch kann Volkswagen die Kunden wesentlich länger an die Marke binden.

Das ist beim Kauf anders: Die erste Abwanderungswelle setzt häufig mit dem Ablauf der Garantie nach zwei Jahren ein. Dann suchen sich viele Käufer eine freie Werkstatt. Spätestens mit dem Weiterverkauf des Fahrzeugs als Gebrauchtwagen steht in der Regel ein Werkstattwechsel an.

Das Aftersales-Geschäft ist ein wesentlicher Pfeiler in der Strategie – für Hersteller und Händler. „Hier lässt sich ein signifikanter Ergebnisbeitrag heben“, so Dahlheim. „Dabei spielt das Teilegeschäft eine wesentliche Rolle.“ Die ohnehin schon große Bedeutung im Teilegeschäft nimmt für den Hersteller künftig also nochmals deutlich zu.

Ein weiterer Vorteil für das Unternehmen ist der Datenzugriff. „Wir wissen dann alles über das Auto und einiges über die Kunden“, so Dahlheim. Bereits jetzt erfasst Volkswagen die Daten von rund acht Millionen Fahrzeugen. Künftig werden es nochmals deutlich mehr sein. Das Wissen ist von entscheidender Bedeutung.

Ein Beispiel: Es hilft VWFS den richtigen Vermarktungskanal zu finden, wenn das Fahrzeug zurückkommt: Ob das Fahrzeug erneut ins Leasing geht, als Abo vermarktet wird oder im Carsharing zum Einsatz kommt. Oder über den Handel als Gebrauchtwagen verkauft wird.

Dem Ziel, weltweit einer der größten Gebrauchtwagenverkäufer zu werden, kommt VWFS damit einen Schritt näher: Im Jahr 2020 hat der Dienstleister noch rund 142.000 Gebrauchte vermarktet, so rechnet Dahlheim im laufenden Jahr mit 462.000 Fahrzeugen. Die Zahl soll in den nächsten Jahren auf bis zu eine Million steigen.

Dreh- und Angelpunkt dafür ist die neue Mobilitätsplattform: Hier erfolgt beispielsweise nicht nur die Schadenserfassung, sondern auch die Steuerung der Restwerte. Nicht nur für eine Marke, sondern für alle Konzernmarken. „Das machen wir alles nur einmal“, sagte der VWFS-Chef. „Dadurch entstehen signifikante Skaleneffekte und Vorteile in der Preisgestaltung.“

Gerade bei der Preisgestaltung und der Restwertberechnung soll künftig künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle spielen. Während heute Experten die Prognose stellen und dabei von künstlicher Intelligenz unterstützt werden, soll es künftig umgekehrt sein. Ziel ist es, dass weitgehend automatisiert in 14 EU-Märkten eine Prognose erstellt und nur noch von Experten überwacht wird.

Um den richtigen Preis zu finden, soll die KI künftig auf noch mehr Aspekte achten. Wie groß sind die Kapazitäten? Welche Kosten entstehen durch die Logistik? Gibt es andere europäische Länder, in denen für die Fahrzeuge mehr bezahlt wird?

Das eröffnet interessante Möglichkeiten: Den klassischen Dienstwagen gibt es in Deutschland häufig, in anderen Ländern ist er als Gebrauchter gefragt. Dafür kommen in Deutschland kleinere Fahrzeuge gut an, von denen es in anderen Ländern ein Überangebot gibt.

„Europa muss sich rechnen“, so Dahlheim. Bislang werden ein einstelliger Prozentsatz der Fahrzeuge außerhalb ihres Heimatmarktes vermarktet. „Entscheidend ist ein signifikanter Preishebel. Er muss deutlich vierstellig sein.“