Krise europäischer Autozulieferer: Erholung ab 2025?

Schwache Wachstumsprognosen, der dümpelnde Absatz von Elektroautos, hohe Rohstoffkosten und rückläufige Gewinne im China-Geschäft bereiten vielen deutschen Automobilzulieferern Sorgen. Dies lässt sich in den Zahlen ablesen: 2023 kamen sie noch auf einen Weltmarktanteil von 25 Prozent. Laut einer Studie von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, bedeutet dies einen Verlust von 1,4 Prozentpunkten im Vergleich zu 2020.

Wie stark die hiesige Branche unter Druck steht, zeigt eine Auswertung des europäischen Zuliefererverbands CLEPA: Die Europäische Union könnte zum ersten Mal in ihrer Geschichte 2024 ein Handelsbilanzdefizit im Automobilzuliefergeschäft verbuchen, so die Analyse. Jahrzehntelang sorgten Europas Autozulieferer für milliardenschwere Handelsüberschüsse.

Ein Grund sind die massiv steigenden Importe von Fahrzeugbatterien und Halbleitern aus fernöstlicher Fertigung. Daran haben keineswegs nur chinesische Hersteller einen Anteil, vielmehr sind es weit überwiegend noch europäische Unternehmen, die in Fernost immer mehr Fahrzeuge und Teile produzieren und nach Europa verschiffen.

Demgegenüber blüht das Geschäft der chinesischen Zulieferer auf. Die Herausforderer konnten ihren globalen Marktanteil im gleichen Zeitraum mit einem Plus von 4,2 Prozentpunkten nahezu verdoppeln und kamen 2023 auf fast zehn Prozent.

"Während die chinesischen Zulieferer sozusagen das Gaspedal schon am Bodenblech haben, befinden sich viele deutsche Zulieferer noch auf dem Einfädelungsstreifen", sagte Henning Rennert, Partner bei Strategy& Deutschland, im Gespräch mit der Automobilwoche.

Die chinesischen Zulieferer hätten aber nicht nur viel investiert, sie hätten gleichzeitig auch ihre Kostenstrukturen verbessert. Es würde ihn nicht wundern, wenn die chinesischen Lieferanten in zwei oder drei Jahren einen weltweiten Marktanteil von 15 und mehr Prozent erreichen würden.

Insgesamt hat sich die globale Zulieferbranche 2023 stabilisiert, fällt aber hinter das Wachstum der Automobilhersteller zurück. Die OEMs legten 2023 bei den Erlösen um durchschnittlich acht Prozent zu, die Zulieferer erzielten lediglich ein Plus von drei Prozent.

Für die angespannte Lage der deutschen Zuliefererindustrie machen die Branchenexperten vor allem verspätete und bislang zu zaghafte Anpassungen an die Elektromobilität verantwortlich. Die Transformation der Automobilbranche schreite in nicht linearen und teils schwierig zu berechnenden Zyklen voran.

Die Zulieferer würden zudem noch immer mit den Dynamiken des neuen Markts ringen. In Deutschland seien 2023 über eine Million weniger Autos produziert worden als noch 2021 prognostiziert – das entspricht einer Fehlkalkulation von mehr als 20 Prozent.

Zudem macht vielen Unternehmen die kleinteilige Produktionslandschaft zu schaffen. Zukäufe haben der historisch kleinteiligen Produktionslandschaft noch weitere Standorte hinzugefügt. Genau diese Zersplitterung bereitet ZF-Chef Holger Klein Kopfzerbrechen. Die 54.000 Mitarbeiter in Deutschland verteilen sich auf 52 Standorte, davon 36 Produktionswerke. Durch die großen Zukäufe der vergangenen Jahre (TRW 2015, Wabco 2020) hat sich die Standortstruktur sukzessive vergrößert.

"Sollte sich herausstellen, dass für einzelne Standorte keine langfristige Perspektive gefunden oder deren Wettbewerbsfähigkeit nicht dauerhaft verbessert werden kann, ist auch eine Restrukturierung oder Schließung möglich", heißt es vom Zulieferer. Das Aus für Gelsenkirchen, Damme und Eitorf ist bereits beschlossen, weitere Schließungen werden folgen.

An Schreckensnachrichten über den Abbau von Arbeitsplätzen und drohende Werkschließungen mangelte es nicht. Bei Bosch sollen in der Automotive-Sparte rund 3000 Stellen innerhalb von zwei Jahren wegfallen, bei Continental sind es weltweit 7150, ein Großteil davon in der Verwaltung. Und bei ZF ist gar von 14.000 Stellen in Deutschland bis 2028 die Rede. Auch Schaeffler wird im Zuge der Vitesco-Übernahme Stellen abbauen.

Doch nicht nur bei den Großkonzernen, auch bei vielen mittelständischen Zulieferern sind zahlreiche Jobs in Gefahr. Branchenexperten rechnen damit, dass von den derzeit weniger als 270.000 Beschäftigten in der deutschen Automobilzulieferindustrie im Jahr 2030 nur noch rund 200.000 bleiben werden.

Jobabbau und Standortschließungen sind allerdings nicht ohne Risiko für die Unternehmen. "Werkschließungen im Zuliefererbereich sind immer schwierig, weil bestehende Aufträge mit Automobilherstellern abgearbeitet werden müssen. Bei Kürzungen im Entwicklungsbereich besteht wiederum die Gefahr, dass wichtige Mitarbeiter verloren gehen. Dann hat man zwar auf dem Papier weniger Leute, aber auch weniger Qualität im Haus", sagt Analyst Horst Schneider vom globalen Research-Team der Bank of America.

Die angespannte Situation in der Zulieferindustrie lässt sich auch an den Jobanzeigen ablesen. Laut einer Untersuchung der Berliner Personalmarktforschung Index Research setzten die drei umsatzstärksten deutschen Zulieferer beim Personal den Rotstift an. So veröffentlichte Bosch von Januar bis Juli 2024 nur knapp 5500 Stellenanzeigen, ZF rund 1100 und Continental gut 2900. Das entspricht einem prozentualen Rückgang um 64,55 und 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Die mit Abstand meisten öffentlich ausgeschriebenen Stellen richteten sich bei allen drei Zulieferern an technische Fachkräfte wie Ingenieure und Konstrukteure. Circa 2000 Stellen bei Bosch, 468 bei ZF und 827 bei Continental. Bosch und Conti inserierten mit fast 1200 beziehungsweise 583 Positionen die zweitmeisten Stellen für IT-Spezialisten.

"Die Rückgänge bei den Stellenausschreibungen betreffen nicht nur die Großkonzerne Bosch, Continental und ZF Friedrichshafen, sondern ziehen sich durch viele Unternehmen der Zulieferbranche", sagt Jürgen Grenz, CEO der Index-Gruppe. Er ist überrascht, dass es den Abschwung bei den Stellenausschreibungen "erst jetzt und nicht schon deutlich früher gegeben hat".

Um die Unternehmen fit für die Zukunft zu machen, stellen die Zulieferer ihr Portfolio auf den Prüfstand und suchen nach Effizienzen. Insgesamt 44 Prozent der vom Marktforschungsinstitut Verian (zuvor Kantar Public) im Auftrag der Unternehmensberatung FTIAndersch befragten Autozulieferer in Deutschland rechnen mittelfristig mit einer Restrukturierung im eigenen Unternehmen. Und 28 Prozent der Befragten wollen noch im laufenden Jahr umbauen oder sind bereits damit beschäftigt.

In Erwartung vermehrter Insolvenzen und gleichzeitig anstehendem Finanzierungsbedarf bereiten sich die Unternehmen intensiv auf eine restriktivere Kreditvergabe vor. 40 Prozent der Zulieferer rechnen in den kommenden Monaten mit mehr Insolvenzen als in den Vorjahren, zwölf Prozent davon mit "deutlich" mehr.

Die meistgenannten Risiken: straffere Kreditvorgaben (67 Prozent), der mittelfristige Verlust signifikanten Umsatzvolumens aufgrund der Insolvenz von Kunden (50 Prozent) und das Einbrechen von etablierten Lieferketten (25 Prozent).

30 Prozent der Autozulieferer, die gerade eine Restrukturierung durchführen oder diese kurzfristig planen, wollen dabei auch die Finanzen neu ordnen. Zum Vergleich: In der Konsumgüterindustrie planen laut Untersuchung nur 16 Prozent eine Neuordnung der Finanzen, im Maschinenbau lediglich zehn Prozent.

Zudem sehen 35 Prozent der Automobilzulieferer eine Herausforderung in der Verfügbarkeit und in den Kosten von Fremdkapitalfinanzierungen für eine Restrukturierung. Bei den Maschinenbauern sind das nur 16 Prozent, im Bereich Konsumgüter gar nur sechs Prozent der befragten Unternehmen.

Doch es gibt Hoffnung. "Was mich auf Basis der erhobenen Daten, aber auch meiner subjektiven Beobachtung im Markt trotzdem verhalten optimistisch stimmt: Obwohl die Stimmung so schlecht ist, stecken viele Unternehmen nicht den Kopf in den Sand. Sondern sie gehen diese ganzen Probleme, so geballt sie auch erscheinen mögen, direkt an", sagt Ralf Winzer, Senior Partner und Vorstand bei FTI-Andersch.

Positive Ansätze sieht auch Analyst Schneider: "Trotz aktueller Herausforderungen und niedriger Bewertungen erwarten wir, dass sich die europäische Automobilzulieferindustrie ab dem Jahr 2025 wieder erholt. Aufgrund von Restrukturierungsmaßnahmen und Kostensenkungen werden sich im kommenden Jahr die Margen der Zulieferer verbessern", ist er überzeugt. So hat sein Haus den französischen Zulieferer Valeo auf "Buy" hochgestuft und Continental, Autoliv und Forvia positiv bewertet.

Rennert wiederum fordert, dass die Zulieferer hierzulande gezielt unternehmerische Risiken eingehen müssten. Dafür müsse es auch wieder mehr Zusammenarbeit zwischen den deutschen OEMs und den deutschen Zulieferern geben. "Die hiesigen Fahrzeughersteller sollten ein Interesse daran haben, die heimische Zulieferindustrie als Innovations- und Taktgeber zu stützen."