Valeo-Chef: "Europa muss seine Wertschöpfung verteidigen"

Europas Automobilindustrie steht nach der Wahl in den USA und angesichts der immer stärker werdenden chinesischen Rivalen an einem Scheideweg: Wird diese Industrie ihre Stärke auch unter den verschärften Wettbewerbsbedingungen bewahren können, oder wird sie schrumpfen und in vielen Bereichen hinter China und die USA zurückfallen?

Christophe Périllat, Chef des Zulieferers Valeo, hat dazu eine klare Meinung: "Nach unseren Berechnungen hat Europa seit Januar 2020 25 Prozent seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China verloren. Dies ist eine Folge des Anstiegs der Energiepreise, der zu Lohnerhöhungen und einer Inflationswelle geführt hat. Die europäische Automobilindustrie braucht gleiche Wettbewerbsbedingungen, um nachhaltig arbeiten zu können."

Europa erlebe eine historische Herausforderung, auf die es noch keine angemessene Antwort gegeben habe, sagte Perillat der Automobilwoche. "Wir erleben zur Zeit eine chinesische Initiative in Europa, die es so noch nicht gab. Sowohl technologisch und finanziell, als auch preislich. Um es einfach auszudrücken, es ist ein Wendepunkt für China und Europa in allen wichtigen Aspekten der Wettbewerbsfähigkeit", stellt Périllat unumwunden fest.

Den europäischen Herstellern und Zulieferern sei nicht bang, wenn sie sich unter gleichen Wettbewerbsbedingungen mit ihren chinesischen Rivalen messen würden.

"Wir haben keine Angst vor Wettbewerb. Wir wissen, wie man schneller wird, wie man innovativer wird, wie man am besten Kosten reduziert und gleichzeitig die Leistung erhöht, um immer bessere Autos zu bauen. Deshalb sehen wir es positiv, wenn chinesische Autohersteller und Zulieferer verstärkt in Europa produzieren wollen. Wir lieben den Wettbewerb und ich heiße die neuen Wettbewerber in Europa willkommen. "

Eine ganz andere Wettbewerbsposition hätten die Europäer aber in der gegenwärtigen Situation. "Es wird bedeutend schwieriger für uns in Europa, wenn wir es mit Wettbewerbern zu tun haben, die in China unter völlig anderen Bedingungen entwickeln und produzieren, denn Europa hat in wenigen Jahren 25 Prozent seiner Wettbewerbsfähigkeit verloren."

Périllat will sein Plädoyer nicht als Aufruf zu Protektionismus missverstanden sehen und eine konfrontative Haltung gegenüber  China lehnt er ab. "Es geht mir darum, diese Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit, die die Automobilindustrie in Europa nicht zu verantworten hat und die sie nicht ändern kann, nicht noch größer werden zu lassen."

Europa dürfe keine Festung werden, betont der Valeo-Chef mehrfach in dem Gespräch. "Es geht darum, zu den gleichen Regeln und mit der selben oder wenigstens mit einer vergleichbaren Kostenstruktur zu arbeiten."

Europa benötige deshalb ein ähnliches Instrument, wie es in den USA die Biden-Regierung seit 2018 unter anderem mit dem Inflation Reduction Act eingeführt habe. "Europa muss darauf bestehen, dass außereuropäische Unternehmen, die in den europäischen Markt eintreten wollen, ein Mindestmaß an Wertschöpfung in Europa erzielen, ein Mindestmaß an europäischen Inhalten. In den USA sind es derzeit 75 Prozent."

Über das Ausmaß dieses Mindestmaßes müsse gewiss diskutiert werden. "Aber es ist notwendig, um die Arbeitsplätze in der Industrie zu halten, um die Lieferketten nicht vollständig aus der Hand zu geben, um technologische Fähigkeiten zu erhalten und letztlich um den Wohlstand in der Region sicherzustellen."

Bleibe Europa untätig, so werde dies schneller als vielfach gedacht zu nachhaltigen Einschnitten führen, warnt Périllat. "Wenn wir nichts unternehmen, werden mehr und mehr Komponenten direkt aus China nach Europa kommen. Und da rund 80 Prozent der Wertschöpfung an einem modernen Fahrzeug von Zulieferern stammt, ist das ein sehr ernstes Risiko."

Ein erheblicher Teil der automobilen Fertigungskapazitäten in Europa stehe dann zur Disposition. "Dann werden immer mehr Unternehmen dazu gezwungen, weitere Kapazitäten in Länder mit günstigeren Rahmenbedingungen zu verlegen."

Die stärker werdenden chinesischen Rivalen und die notwendige Transformation zum Elektroauto könnten die schlecht aufgestellten Unternehmen in der europäischen Automobilindustrie im schlimmsten Fall zum Aufgeben zwingen, warnt Périllat. "Wenn Sie von zwei Wellen gleichzeitig getroffen werden, auf die Sie nicht vorbereitet sind, dann droht der Untergang."

 Er spreche nicht im Interesse von Valeo alleine, betont Périllat. "Ich bin überzeugt, dass wir sehr gut gewappnet sind für die Herausforderungen der nächsten Jahre. Aber ich mache mir Sorgen um die europäische Automobilindustrie insgesamt."