Was die ZF-Wolfspeed-Kooperation bedeutet

Auf dem Gelände eines ehemaligen Kohlekraftwerks in Ensdorf im Landkreis Saarlouis will der US-Chiphersteller Wolfspeed (North Carolina) eine 200-Millimeter-Siliziumkarbid-Halbleiterfabrik bauen. Die weltweit größte ihrer Art, wie es bei Wolfspeed heißt. Mit dem Bau der Fabrik soll im ersten Halbjahr 2023 begonnen werden. Die Genehmigung der Beihilfen durch die Europäische Kommission für das Vorhaben in Ensdorf stehen allerdings noch aus.

Wolfspeed-Chef Gregg Lowe erwartet insgesamt Subventionen in Höhe von 20 Prozent der Investitionssumme. Bei vollständigem Betrieb sollen in der Fabrik mehr als 600 Mitarbeiter beschäftigt werden. Der Start der Produktion ist für 2027 geplant. Anfang der 2030er-Jahre wird die Fabrik dann wohl ihre maximale Auslastung erreichen.

Die überregionale Bedeutung des Projektes wird auch daran deutlich, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck sowie weitere Politprominenz beim Festakt zur Vorstellung der Pläne in Ensdorf dabei waren. Die leistungsfähigen Siliziumkarbidchips sind eine Schlüsseltechnologie für die E-Mobilität.

Beteiligt an dem Projekt ist auch der Zulieferer ZF Friedrichshafen. Der Konzern vom Bodensee beteiligt sich im Rahmen einer strategischen Partnerschaft in Höhe von 170 Millionen Euro im Tausch gegen Wolfspeed-Stammaktien an der Fabrik. Als Teil dieser Investition erhält ZF eine Minderheitsbeteiligung an der Fabrik in Ensdorf. Die Kontrolle und operative Führung der Fabrik liegt bei Wolfspeed.

Zudem gründen die beiden Unternehmen ein Innovationszentrum, um gemeinsam Siliziumkarbid-Systeme und -Bauteile für Mobilitäts-, Industrie- und Energieanwendungen zu entwickeln. An dem FuE-Zentrum hält ZF 51 Prozent der Anteile. Insgesamt sollen für das Werk und das Innovationszentrum bis zu drei Milliarden Euro investiert werden.

Sowohl das Forschungszentrum als auch die Fabrik sind integrierter Teil des Important Project of Common European Interest – IPCEI – für Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien. "Diese Initiativen stärken die Widerstandsfähigkeit der europäischen Lieferketten und unterstützen gleichzeitig den Europäischen Green Deal und die strategischen Ziele von Europas digitaler Dekade", erklärt ZF-Vorstandschef Holger Klein.

Deutschland und die EU-Kommission wollen die Abhängigkeit von Unternehmen beispielsweise aus China verringern. In den vergangenen Jahren hat die Chipproduktion vor allem in Asien stattgefunden. Und es wird dort weiter investiert. In Japan, Südkorea, Taiwan und in den USA sind milliardenschwere Förderprogramme gestartet worden.

Mit dem Thema Siliziumkarbid beschäftigt sich auch der Zulieferer Bosch intensiv. Vor rund einem Jahr hat das Unternehmen mit der Serienfertigung solcher Halbleiter am Standort Reutlingen begonnen. Und der Chiphersteller Infineon Technologies hat im August vergangenen Jahres mit II-VI Incorporated einen mehrjährigen Liefervertrag für Siliziumkarbid-Wafer unterzeichnet, um ausreichend Rohmaterial für seine SiC-Chips zur Verfügung zu haben.

Die Zusammenarbeit zwischen Wolfspeed und ZF besteht schon seit einigen Jahren. Beide Konzerne unterhalten seit 2019 eine strategische Partnerschaft, um elektrische Antriebsstränge mit SiC-Invertern zu entwickeln. "Mit ZF haben wir einen starken Partner an unserer Seite, der sowohl branchenführende Erfahrung in der Skalierung von Komponenten für die Elektromobilität mitbringt als auch die Fähigkeit besitzt, Innovationen in Siliziumkarbid-Systemen und Leistungsbauelementen zu beschleunigen", lobt Wolfspeed-Chef Lowe.

Das sieht ZF-Vorstand Stephan von Schuckmann ähnlich: "Wolfspeed bringt seine mehr als 35 Jahre Erfahrung in der Siliziumkarbid-Technologie ein, und bei ZF haben wir ein einzigartiges Verständnis für die Gesamtsysteme in allen Branchen – von Pkw und Nutzfahrzeugen bis hin zu Baumaschinen, Windenergie und industriellen Anwendungen."

Bei der Zusammenarbeit im Forschungszentrum wollen die Partner Innovationen für Siliziumkarbid-Systeme, -Produkte und -Anwendungen entwickeln. Und zwar über die gesamte Wertschöpfungsketten, angefangen vom Chip bis hin zu kompletten Systemen. Dabei sind ausdrücklich auch andere Unternehmen willkommen, um sich an dem Innovationsprozess zu beteiligen, und so ein europäisches SiC-Netzwerk aufzubauen.
 
Siliziumkarbid-Chips werden nicht nur für die E-Mobilität, sondern auch in der Windkraft und für Solaranlagen gebraucht. So lassen sich nach Expertenschätzung die Schaltverluste um 70 Prozent reduzieren, zudem bietet SiC eine drei Mal so hohe Temperaturbeständigkeit, ist um den Faktor zehn robuster und die Baugröße der Chips lässt sich wesentlich verringern.  

Auch andere Unternehmen haben die Bedeutung von Wolfspeed und deren Kompetenz auf dem SiC-Gebiet erkannt. Im Jahr 2016 wollte Infineon Wolfspeed übernehmen. Doch die US-Regierung untersagte im Februar 2017 die Akquisition und verwies auf ein Risiko für die nationale Sicherheit. Für Infineon wäre es ein gutes Geschäft gewesen. Infineon wollte Wolfspeed damals für 850 Millionen Dollar übernehmen. Heute ist das Unternehmen an der Börse ein Vielfaches wert.

Im November 2022 war bekannt geworden, dass sich der US-Antriebsspezialist BorgWarner mit 500 Millionen Dollar an Wolfsspeed beteiligt hat, um sich Siliziumkarbid-Kapazitäten zu sichern. BorgWarner darf demnach jährlich Bauelemente im Wert von bis zu 650 Millionen Dollar von Wolfspeed abnehmen. Auch der Fahrzeughersteller Stellantis hat sich SiC-Kapazitäten bei Infineon gesichert.

Wolfspeed zeichnet zudem eine Besonderheit aus: Der Chiphersteller und das japanische Unternehmen Rohm Semiconductor gehören zu den weltweit wenigen Halbleiterzulieferern, die bei der Herstellung von SiC-Chips die gesamte Lieferkette inhouse haben. Rohm und Wolfspeed dominieren dabei die Produktionsschritte in der Fertigung von sogenannten Basewafern. Das heißt, andere Anbieter von Siliziumkarbid müssen die Wafer bei Rohm oder Wolfspeed einkaufen.

Von großer Bedeutung für die Qualität des Wafers ist dabei der sogenannte Keim, auf dem der Kristall aufwächst. In dem Prozess wird das SiC-Pulver auf Temperaturen von über 2000 Grad Celsius erhitzt. Dabei verdampft das Pulver und kristallisiert auf dem Keim. Wenn bei diesem Schritt die Qualität nicht stimmt, ist das Material von geringerer Qualität oder gar wertlos. Für diesen Prozess wird ein detailliertes Expertenwissen benötigt.

Die Substratherstellung insgesamt ist ein sehr komplexer Prozess. Es dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bis man den gesamten Prozess im Griff hat, sagen Branchenexperten. Bei Rohm rechnet man beispielsweise damit, dass chinesische Wettbewerber sehr viel Zeit benötigen werden, um ein hochwertiges Ausgangsmaterial zu gewinnen.

Nach Berechnungen des Marktforschungsunternehmens Yole wird sich das Marktvolumen für Siliziumkarbid-Bauteile im Zeitraum von 2021 bis 2027 von rund einer Milliarde US-Dollar auf etwa 6,3 Milliarden Dollar erhöhen. Das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von zirka 34 Prozent. Davon entfallen im Jahr 2030 etwa fünf Milliarden Dollar auf Inverter, Onboard-Charger oder DC/DC-Wandler, die alle Siliziumkarbid verwenden werden. Zweitwichtigster Abnehmer von SiCs nach der Automobilindustrie ist die Solarbranche. Durch den derzeitigen Druck auf diese Branche könnte der Bedarf noch deutlich steigen.

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