Händlernetze weiter auf Schrumpfkurs

Europas Autohändler haben im vergangenen Jahr pro Standort so wenig Neuwagen verkauft wie seit langem nicht. Pro Marken-Vertriebsstandort wurden im Schnitt lediglich 233 Autos abgesetzt. Zu diesem Ergebnis kommt das Marktanalyse-Institut ICDP in der aktuellen Ausgabe seiner Studie "European Car Distribution Handbook" für die 40 Automarken in 38 europäischen Märkten betrachtet wurden. Damit sei ein Niveau erreicht, "das es in den letzten 15 Jahren nicht gegeben hat", so ICDP-Experte Gareth Arnould. In der Studie 2020 bezifferte ICDP die Verkäufe noch auf rund 330 pro Standort, 2022 lag der Schnitt bei 254.

Hauptgrund für den Einbruch ist die Lieferkrise der Autohersteller, die den Handel zum Stichtag am 1. Januar 2023 noch fest im Griff hatte. Auffällig sei jedoch der deutliche Rückgang trotz der anhaltenden Bemühungen vieler Hersteller, ihre Vertriebsnetze zu reduzieren, befand Arnould. "Die meisten Marken haben ihr Netz reduziert", so der Forscher.

Insgesamt nahm die Zahl der Vertriebsstandorte bis Anfang 2023 um 1,99 Prozent auf europaweit 44.660 ab. Die Zahl der Servicestandorte sank im gleichen Zeitraum um 1,55 Prozent auf 83.580. Damit folge man wieder der jahrelangen Flugbahn seit der weltweiten Finanzkrise, konstatierte Arnould. Im Vorjahr gab es durch den Markteintritt von MG, der Strategie von Stellantis die Zahl der Marken pro Standort zu steigern und den Vertriebsnetzaufbau von Tesla noch ein leichtes Plus.

Zwischen den einzelnen Ländern gibt es jedoch deutliche Unterschiede. Vor allem Großbritannien sticht hervor. Pro Haupthändler zählt ICDP hier 388 Neuwagen. "Das Vereinigte Königreich ist der am besten rationalisierte und richtig dimensionierte Markt", urteilte Arnould. Deutschland sei dagegen historisch der kleinteiligste der fünf größten europäischen Märkte. Hier zählt ICDP für die 10.589 Vertriebsstandorte im Schnitt nur 223 Neuwagen pro Betrieb. Die Zahl der Servicestandorte liegt laut ICDP bei 20.035 (2022: 10.823 Vertriebs- / 20.179 Servicestandorte, 229 Neuwagen pro Verkaufsstandort).

Insgesamt bleibe der Netzabbau hinter dem von den Verbrauchern gewünschten Tempo zurück, konstatieren die Forscher. Diese würden mittlerweile weite Teile der Customer Journey digital zurücklegen. Selbst beim Vorreiter Großbritannien sehen die ICDP-Forscher noch erhebliches Potential für Netzverkleinerungen. "Es besteht die Möglichkeit, die Größe des Vertriebsnetzes erheblich zu verringern, ohne dass die Fahrzeiten für die Kunden wesentlich beeinträchtigt werden", so Arnould. Streiche man in einem durchschnittlichen Händlernetz in Großbritannien die Hälfte der Standorte, erhöhe sich die durchschnittliche Fahrzeit für Verbraucher dennoch nur von 17 auf 21 Minuten. Der Anteil derer, die weniger als 30 Minuten brauchen, sinke lediglich von 93 auf 82 Prozent.

Diese Einsparungen können für Hersteller einen deutlichen Wettbewerbsvorteil bedeuten. Durch kleinere, schlankere Händlernetze können diese nach Berechnungen von ICDP 24 Prozent des Händler-Rohertrags pro Fahrzeug sparen. Der mache bei einem 30.000 Euro teuren Fahrzeug 1.500 Euro aus, die Ersparnis läge somit bei 360 Euro pro Fahrzeug. Insgesamt beziffert ICDP die Vertriebskosten in dieser Rechnung auf 9.000 Euro. Die beiden größten Kostenblöcke vor dem Händler-Rohertrag sind dabei Kundenrabatte mit 2.100 Euro und Herstellerkampagnen mit 2.400 Euro. Ganz ohne Händlernetz gehe es indes nicht: "Vertrieb ist nicht digital oder physisch, sondern omnichannel", so Arnould.