Deutscher Zulieferindustrie droht toxische Mischung

Die deutschen Automobilzulieferer fallen im internationalen Wettbewerb zurück und verlieren hart erkämpfte Weltmarktanteile. So lautet ein Ergebnis der aktuellen "Automobilzulieferer-Studie" von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC. Demnach kamen deutsche Lieferanten 2022 im Schnitt auf lediglich 13 Prozent Umsatzwachstum. Sie bilden damit das globale Schlusslicht, weit abgeschlagen hinter dem Rest Europas (21 Prozent), Asien (23) und Amerika (25).

Auch bei der Profitabilität landen sie mit 3,9 Prozent EBIT-Marge auf dem letzten Platz. Ihre bereits zuvor ungünstigen Kostenstrukturen konnten sie ebenfalls kaum verbessern. Die Konsequenz: Seit 2019 haben die deutschen Zulieferer 2,7 Prozentpunkte Weltmarktanteil eingebüßt – so viel, wie sie zuvor in 20 Jahren mühsam hinzugewinnen konnten. Zugleich nimmt der Kapitalstock deutscher Zulieferer seit Jahren ab, was laut Studie ein Indikator für drohende weitere Marktverluste sein könnte.

Auf globaler Ebene gelingt der Zuliefererbranche laut Studie eine Trendwende, und sie knüpft zumindest beim Umsatz an die erfolgreichen Zeiten vor den vergangenen Krisen an. 2022 konnten die weltweiten Top-Zulieferer ihren Umsatz um durchschnittlich 20 Prozent steigern. Die Nummer eins ist weiterhin Bosch. Weil die Zulieferer ihre inflationsbedingt gestiegenen Kosten kaum an die Autobauer weiterreichen konnten, bleiben die Margen allerdings niedrig und nahmen im Vergleich zum Vorjahr sogar durchschnittlich um 0,5 Prozentpunkte ab.

"In den vergangenen 15 Jahren war die deutsche Zulieferindustrie sehr erfolgsverwöhnt. Das hat sich geändert", erklärt Henning Rennert, Studienautor und Partner bei Strategy& Deutschland, im Gespräch mit der Automobilwoche. Derzeit kommen für ihn drei Dinge zusammen: "Erstens hat die Branche im Vergleich zu anderen Regionen an Profitabilität verloren. Zweitens haben die deutschen Unternehmen Weltmarktanteile eingebüßt und es ist für sie immer schwieriger, Skaleneffekte zu heben. Und drittens setzen die Zulieferer ihre Innovationen nicht mehr schnell und profitabel genug um. Die deutsche Zulieferindustrie muss aufpassen, dass das nicht zu einer toxischen Mischung wird. Darauf muss die Branche jetzt Antworten finden."

Im globalen Wettbewerb drängen vermehrt asiatische Anbieter auf den Markt und verändern nachhaltig das Gesicht der Branche. Mit enormen Innovations- und Investitionsvorsprüngen im Bereich Elektromobilität setzen sie die bisherigen Top-Zulieferer unter Druck und erobern zunehmend Spitzenplätze im Ranking der umsatzstärksten Zulieferer.

"Um wirtschaftlich vorne mitspielen zu können, kommt es in der Zuliefererbranche seit jeher auf Größe und Skaleneffekte an. Beides beherrschen die asiatischen Zulieferer in der aktuellen Transformationsphase am besten. Die deutschen Zulieferer hinken dagegen hinterher, weil sie im Wachstumsfeld Elektromobilität oft erst zu spät und zu kleinteilig aktiv geworden sind", so Rennert.

Um nun aufzuholen, müssten die ehemaligen Platzhirsche wieder echte Innovationen vorantreiben, Skaleneffekte erzielen und zügig neue Wachstumsstrategien entwickeln. Zudem gelte es, das Wachstum in einem herausfordernden geopolitischen Umfeld abzusichern und wettbewerbsfähige, teilglobalisierte Lieferketten zu schaffen.

"Das Thema Skaleneffekte ist für die Branche zentral. Die Unternehmen müssen wieder groß denken", ist Rennert überzeugt. Es sei wichtig, dass die deutschen Zulieferer wieder zu einer Logik finden, die lautet: "Wir sind Marktführer und der Wettbewerb besteht aus Verfolgern, und nicht umgekehrt."

Im Ringen um bröckelnde Weltmarktanteile setzen die deutschen Automobilzulieferer vor allem auf ihre traditionelle Innovationskraft. Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung liegen sie weiterhin sowohl gemessen in absoluten Werten als auch relativ zum Umsatz an der Spitze. Trotz niedriger Profitabilität und geringem Umsatzwachstum investierten sie im vergangenen Jahr 15,9 Milliarden Euro – und liegen damit knapp vor Asien mit 15,3 Milliarden Euro, aber weit vor dem Rest Europas mit 8,2 Milliarden Euro und Amerika mit 3,6 Milliarden Euro.

"Die deutschen Zulieferer investieren aktuell so viel wie noch nie in Forschung und Entwicklung. Damit diese Investitionen auch Früchte tragen, sollten sie ihre Technologieentwicklung allerdings noch stärker auf den Marktbedarf sowie die Situation im Wettbewerb ausrichten, statt längst gesetzten Trends wie im Batteriegeschäft hinterherzulaufen", fordert Rennert. Die Kombination aus Innovationskraft, Produktreife und steiler Lernkurve, mit der sich die deutschen Zulieferer jahrzehntelang vom Wettbewerb abgehoben haben, verfange auch heute noch. Diese alten Tugenden müssten nun fit für die Zukunft gemacht werden, um Innovation in Wachstum umzusetzen.

Ein Problem liegt für ihn darin, dass sehr viele Unternehmen in die E-Mobilität und dabei in ähnliche Produkte investiert haben. "Aber die Stückzahlen waren lange Zeit zu gering, um damit Geld zu verdienen. Doch auch bei nun steigenden Stückzahlen wird immer noch kein Geld verdient, weil es zu viele Anbieter gibt, wie etwa bei der elektrischen Antriebsachse. Die Branche braucht wieder eine gesunde Industriestruktur, um mit ausreichenden Produktvolumina langfristig erfolgreich sein zu können", ist er überzeugt.

Ein weiteres Beispiel sieht er im Thermomanagement: "Das Thermomanagement wird bei den Fahrzeugen der Zukunft architekturbestimmend sein. Bei den Auswirkungen auf das Gesamtfahrzeug übernimmt das Thermomanagement die Bedeutung, die früher einmal der verbrennungsmotorische Antriebsstrang hatte." Es gebe einige sehr starke deutsche Anbieter, aber eben auch sehr viele asiatische Unternehmen. "Nur eine Komponente beim Thermomanagement beizusteuern wird nicht ausreichen, um systemrelevant zu bleiben."

Rennert ist davon überzeugt, dass bei vielen Unternehmen der strategische Plan für die nächsten 10 bis 15 Jahre nachgeschärft werden muss. "Die deutsche Zulieferindustrie ist jetzt an einem Gabelpunkt angelangt, an dem kluge unternehmerische Entscheidungen, auch industrieübergreifend, getroffen werden müssen."

Aus dem Datencenter:

Die 100 umsatzstärksten Automobilzulieferer weltweit 2022