Tokio. Ausgelöst durch die Naturkatastrophe könnte auch ein wirtschaftlicher Tsunami auf Japans Autobranche zurollen. Angesichts der Gefahren durch das zerstörte Atomkraftwerk Fukushima gilt aber die erste Sorge den Menschen vor Ort. „Unser primäres Augenmerk liegt auf dem Wohlergehen unserer 13.000 Mitarbeiter in Japan und deren Angehörigen“, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche der Automobilwoche. Daimler besitzt den japanischen Lkw-Hersteller Fuso.
Nachbeben
Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern eine Unterbringung im sicheren Süden des Landes an – zum Beispiel auch der deutsche Zulieferer Webasto, der in Japan rund 320 Mitarbeiter beschäftigt. Etliche ausländische Unternehmen lassen ihre Leute ausfliegen. So hat die BMW Group ihre 50 deutschen Mitarbeiter samt Familien bereits aus dem Großraum Tokio in die Heimat zurückgeholt. Volkswagen brachte 30 seiner 40 deutschen Mitarbeiter nach Deutschland. Bei Schaeffler nahmen 40 von 180 Expats das Angebot an, in die Heimat zurückzukehren. Die größte Bedrohung für die Autobranche geht unterdessen nicht von eher kurzfristigen Produktionsunterbrechungen aus, von denen alle sieben japanischen Autohersteller und viele Zulieferer betroffen sind.
Schäden in den Produktionsanlagen lassen sich schnell reparieren. Gravierender sind die Unterbrechungen der Lieferketten, die Einschnitte in der Energieversorgung und der Ausfall vieler Verkehrswege. So muss etwa General Motors wegen ausfallender Lieferungen aus Japan vorübergehend die Produktion in einem seiner Pickup- Werke in den USA stoppen. VW-Konzernchef Martin Winterkorn zeigte sich nur auf kurze Sicht beruhigt: „Wir sind zuversichtlich, dass wir diese und nächste Woche gut überstehen.“ Und darüber hinaus? „Ich schließe nicht aus, dass auch wir in den nächsten Wochen Probleme bekommen“, so der VW-Chef. „Es ist noch zu früh, um die langfristigen Folgen des Erdbebens auf die japanische Automobilindustrie abzuschätzen“, urteilt Jeong Min Pak, leitender Automobilexperte bei der Ratingagentur Fitch. Es stehe aber außer Frage, dass die Profitabilität aller betroffenen Unternehmen darunter leiden werde. Dies werde auch von der Yen-Entwicklung abhängen.
Japan als drittgrößter Automobil-Absatzmarkt der Welt könnte für Jahre zurückfallen. Denn die meisten der 127 Millionen Japaner werden in nächster Zeit nicht an die Anschaffung eines Neuwagens denken. Auch der Automobilhandel in Japan ist vielerorts schwer betroffen. Für die deutschen Hersteller ist Japan nur ein kleiner Markt. Dennoch würde ein massiver Marktrückgang schmerzen – Mercedes etwa verkaufte 2010 in Japan immerhin 31.000 Pkw. Ausländische Hersteller könnten am Ende sogar ungewollt Vorteile aus der Katastrophe ziehen: „Kommt es zu anhaltenden Lieferengpässen der japanischen Autoindustrie, könnten andere Autohersteller davon profitieren“, sagt Torsten Schmidt vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.
Vergleichsweise geringe Sorgen müssen sich die japanischen Anbieter in Europa machen. So stammten im vergangenen Jahr 77 Prozent der in Deutschland verkauften Toyota-Fahrzeuge aus europäischer Produktion, bei Honda sind es mehr als 80 Prozent, bei Suzuki 75 Prozent. Anders dagegen die Premiummarken Lexus und Infiniti: Sie beziehen alle Modelle aus Japan. Auch der Toyota Prius wird nur in Japan gebaut.