VW sperrt Manager in Wolfsburg ein

Außen glänzt Fachwerk, aus den Lautsprechern hört man Pferdegetrappel und einen Hahn krähen. "Das findet man im Werk sonst nicht", sagt Ralph Linde, Leiter der Volkswagen Group Academy und öffnet die Tür des historisch wirkenden Gebäudes. Es ist der Eingang zur neuesten Schulungseinrichtung seiner Academy: Ein "Escape Room", den VW "Emotion Room" nennt.

Dafür hat VW ein Jugendstil-Gebäude aus dem 19. Jahrhundert aus dem nahen Wolfenbüttel nachgebaut. Schließlich war auf dem heutigen Werksgelände in Wolfsburg damals noch grüne Wiese. Grund für den Nachbau im erst ab 1938 errichteten Werk: Die Schulung im Emotion Room beginnt mit einer Zeitreise in die Vergangenheit, als Elektrizität, E-Motor und auch der Verbrenner samt Auto erfunden wurden.

Der "Emotion Room", der am Dienstag eröffnet wurde, ist Teil des Ausbildungskonzepts, mit dem VW seine Mitarbeiter im Stammwerk an die Elektromobilität heranführen will. Schließlich soll hier ab Herbst mit dem ID.3 erstmals ein Elektromodell montiert werden. Und im „Emotion Room“, den VW in Anspielung an die E-Mobilität "eMotion-Room" schreibt, sollen die Mitarbeiter nun spielend an das Thema herangeführt werden. "Und es soll den Leuten natürlich auch Spaß machen“, fügt Personalvorstand Gunnar Kilian mit einem Augenzwinkern hinzu. Und Lust machen auf Elektro.

In Zwickau wurde die Idee schon umgesetzt, als dort 2019 der ID.3 anlief, und später auch in Emden übernommen, wo 2022 der ID.4 startete. Jetzt folgt das Stammwerk. Schließlich, so weiß Produktionsvorstand Christian Vollmer, haben die meisten Mitarbeiter hier, die bisher Golf und Tiguan bauen, noch nie etwas mit E-Autos zu tun gehabt. Und weil hier anders als in Zwickau weiter auch Verbrenner gebaut werden, sei die Qualifizierung der Belegschaft zu allen Antrieben umso wichtiger.

Wie groß die Vorbehalte und Ängste sein können, weiß Vollmer aus seiner Zeit in China, als dort erstmals E-Autos in Serie gingen.  „Und da gab es große Ängste. Da wurden alle Flächen, auf denen Elektro-Fahrzeuge fahren, orange markiert. Weil man Strom halt nicht sehen kann.“ Solche Ängste will er den Mitarbeiter in Wolfsburg nun nehmen und sie zugleich an die neue Technik heranführen.

Im ersten Raum des "Emotion Rooms" geht es dann auch gleich um die Elektrizität. Wobei es mehr die Anfänge im 19. Jahrhundert sind. Auf einer Tafel in der Ecke stehen mit Kreide Formeln zur Elektrotechnik, Aufgabe der Teilnehmer ist es, eine Batterie zu finden und dann aufzuladen. Fünf bis sechs Aufgaben sind zu lösen, ist alles richtig gibt es einen Code, der die Tür zum nächsten Raum öffnet.

Das Konzept hat VW von den seit 2014 immer beliebter werden "Escape Rooms" übernommen, wo aber natürlich keine Batterie zu laden und auch keine ID.3-Heckklappen zu montieren sind. Ansonsten geht es aber auch dort um abgeschlossenen Rätsel-Räume, aus denen sich Spieler innerhalb von meist 60 Minuten durch das Lösen von Aufgaben wie Schlösser knacken, Codes austüfteln und Hinweise finden selbst wieder befreien müssen. Deutschlandweit gibt es rund 1000 "Escape Rooms" von weit über 300 Anbietern.

Das Prinzip habe man aber nicht 1:1 übernommen, sagt Vollmer. "Wir haben das gezielt weiterentwickelt." Auch gegenüber Zwickau und Emden, wo es solche Räume bereits gibt. So wartet im zweiten Raum, in dem es in die Gegenwart geht, eine für die Mitarbeiter hier vertraue Aufgabe: Sie müssen eine Original-Heckklappe des ID.3 komplettieren. Eine Arbeit, die sie bald schon am Band erledigen werden. "Dieser konkrete Produktbezug ist neu", sagt Vollmer. Das habe es in Zwickau und Emden noch nicht gegeben.

Der spielerische Ansatz sei dabei durchaus gewollt, sagt Kilian. So habe es im Komponentenwerk in Braunschweig, als dort von Kunststoffteilen auf Batteriesysteme umgestellt wurde, noch ein Raunen in der Belegschaft gegeben. „Oh, ich soll nochmal die Schulbank drücken“, erinnert sich Kilian an damalige Äußerungen lang gedienter Mitarbeiter. Daher setze man nun darauf, dass die Qualifikation auch Spaß mache und nicht so hart wie Unterricht wirke.

Ganz nebenbei soll der Emotion Room auch den Teamgeist befördern. Denn lösen lassen sich die Aufgaben nur gemeinsam. Die letzte Tür im dritten Raum, der in die Zukunft führt, lässt sich so auch nur von allen vier Teilnehmern, die jeweils als Gruppe geschult werden, gemeinsam öffnen.

Ausprobieren konnten es in Wolfsburg vor der Eröffnung an diesem Dienstag bisher nur ausgewählte Pilotgruppen. Und Teams aus dem Management sowie prominente Besucher, denen VW das neue Konzept schon einmal vorführen wollte. „Bisher sind aber alle wieder rausgekommen“, sagt Kilian.

Wobei es aber im Notfall Hilfe gibt: Die Teilnehmer werden die ganze Zeit von zwei Ausbildern per Kamera beobachtet. Geht es drinnen nicht voran, gibt es von außen auch mal kleine Hinweise aus dem Lautsprecher. 20 Minuten sind für jeden der drei Räume vorgesehen, insgesamt also eine Stunde. „Wobei es aber auch mal länger dauern kann“, sagt Kilian mit einem Augenzwinkern.

Wenn alle Stricke reißen, lassen sich die Türen per Notfallcode öffnen. Diesen Code kenne er aber selbst auch nicht, versichert Vollmer. Schließlich wolle er den neuen Escape Room auch selbst ausprobieren. In Emden habe er das schon gemacht, in Wolfsburg sei das jetzt auch geplant. "Ich will das auf jeden selbst mal durchspielen und hier einen ganzen Tag verbringen."

Der "Emotion Room" ist Teil eines ganztägigen Schulungsprogramms, das VW "Emotion Day" nennt. Denn das Wecken von Emotionen für den neuen E-Antrieb sei eines der Ziele.  Außerhalb des Escape Rooms gibt es konkrete Schulungen per VR-Brille und praktische Übungen am Objekt. So sind Masseverschraubungen zu setzen, Schlauchklemmen für das aufwendige Thermomanagement beim E-Auto festzuziehen, Hochvolt-Stecker auf Fehler zu prüfen und am Ende die komplette Verkabelung zu klemmen.

Bis Sommer sollen die ersten 1200 Mitarbeiter die Schulung durchlaufen haben. Und zwar gezielt diejenigen, die danach dann den ID.3 montieren. Bis 2025 sollen dann alle 22.000 Produktionsmitarbeiter am Standort an die Reihe kommen. Schließlich soll hier ein Jahr später mit dem ID Tiguan das zweite E-Modell anlaufen. Das Konzept, sie jetzt spielerisch an das Thema heranzuführen, kommt bisher gut an. "Transformation gelingt nur gemeinsam", sagt Betriebsratsvize Gerado Scarpino. "Und der Emotion Room ist ein wichtiges Puzzleteil dabei."

Aus dem Datencenter:

Wer liefert was für den VW ID.3?