Volkswagen investiert rund eine Milliarde Euro in ein neues Zentrum für Entwicklung, Innovation und Beschaffung für vollvernetzte Elektroautos in China. Die Gesellschaft mit dem Projektnamen 100%TechCo soll dabei helfen, die Entwicklungszeit für neue Modelle um rund 30 Prozent zu verkürzen. Die Leitung übernimmt Marcus Hafkemeyer, der Technikchef von VW in China. Gebaut wird das Zentrum in Hefei. VW will künftig lokale Zulieferer deutlich früher als bisher in die Entwicklung neuer Modelle einbinden. VW-China-Chef Ralf Brandstätter bezeichnete die Gründung der Gesellschaft als wichtigen Schritt der „In China, für China“-Strategie.
Der Autobauer steht in seinem mit Abstand wichtigsten Markt massiv unter Druck. Nach Informationen des „Handelsblatts“ hat er im vergangenen Quartal erstmals seit Jahrzehnten die Marktführerschaft verloren – und zwar an den einheimischen Konkurrenten BYD. Während die chinesischen Autobauer nie in der Lage waren, bei der Verbrenner-Technik den Vorsprung der etablierten Hersteller aufzuholen, werden die Karten mit dem Umstieg auf Elekroautos neu gemischt. Die Technik ist nicht nur wesentlich einfacher, sie ist auch für alle Hersteller neu und die Asiaten verfügen nicht nur über mehr Batterie-Entwicklungskompetenz als die Europäer, sondern auch über mehr Rohstoffe.
Eine Milliarde für schnellere Produktion
Eine neue Gesellschaft für Entwicklung und Beschaffung soll Volkswagen bei der Lösung seiner Probleme in China helfen. Das selbst gesteckte Ziel ist anspruchsvoll.
In China ist die Elektromobilität deutlich weiter als beispielsweise in Deutschland. Rund ein Viertel alle neu zugelassenen Autos sind inzwischen reine Stromer. Der Anteil von VW daran bewegt sich im einstelligen Prozentbereich. Es muss sich also dringend etwas ändern, wenn VW seine marktbeherrschende Stellung behalten will.
Zweites großes Problem ist der Bereich Infotainment. Unterhaltung im Auto hat für chinesische Kunden einen erheblich höheren Stellenwert als für deutsche. Brandstätter hat dies erkannt. Eine kürzlich verkündete Kooperation mit dem Softwareunternehmen ThunderSoft soll Abhilfe schaffen. Es genügt nicht mehr, einfach deutsche Autos nach China zu bringen, dafür sind die Kunden dort inzwischen zu anspruchsvoll. Gerade im Bereich Unterhaltung verstehen die einheimischen Hersteller die Kunden oft besser und liefern beispielsweise Apps für Karaoke. Die jahrelangen Entwicklungszyklen, an die europäische Hersteller gewöhnt sind, erweisen sich oft als hinderlich.
Das dritte Problem von VW in China ist der Preis. Während Premiumhersteller wie Mercedes und BMW zum einen noch weniger einheimische Konkurrenten haben und zum anderen mit ihren Markennamen höhere Preise rechtfertigen können, muss VW sich gegen günstigere chinesische Volumenhersteller behaupten. Sollten mit mehr chinesischen Zulieferern auch die Beschaffungskosten sinken, könnte VW in diesem Punkt gegenhalten.
Klar ist: VW liegt zurück. Allerdings waren die Wolfsburger auch im vergangenen Quartal die Nummer 2 auf dem weltgrößten Automarkt und haben mit ihren finanziellen und personellen Ressourcen durchaus gute Chancen, sich gegen alte und neue Konkurrenzen zu behaupten. Dass sie ihre Probleme erkannt haben und mit Kooperationen sowie mit dem neuen Entwicklungs- und Beschaffungszentrum an Lösungen arbeiten, gibt Anlass zur Hoffnung. Klar ist aber auch: Einfacher wird das Geschäft für Ralf Brandstätter und sein Team nicht werden.
Aus dem Datencenter: