EU-Ursprungsregeln: Zwischen klare Kante und Kompromiss

In der britischen Autoindustrie macht sich zunehmend Nervosität breit: Das Jahr 2023 neigt sich dem Ende entgegen, und vom 1. Januar 2024 an drohen gemäß des Brexit-Handelsabkommens Zölle beim Im- und Export von Elektroautos zwischen Großbritannien und der Europäischen Union. Der britische Autoindustrieverband SMMT fordert die Politik deshalb zu einer Verschiebung der Deadline auf, um Unternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals nicht zu überfordern.

Hintergrund der Debatte sind die verschärften Ursprungsregeln im Handelsabkommen. Diese legen fest, dass ab dem Stichtag nur solche Elektroautos zollfrei gehandelt werden können, deren Komponenten insgesamt zu mindestens 45 Prozent in der EU oder in Großbritannien gefertigt worden sind. Bei der Kernkomponente aller E-Autos – der Batterie – sind es sogar 60 Prozent. Konkret können die Hersteller dadurch weniger Batteriekomponenten aus Drittländern verbauen als bisher. Auf Fahrzeuge, die diese Grenzwerte nicht einhalten, werden Zölle in Höhe von zehn Prozent fällig.

Die meisten in Großbritannien hergestellten Autos werden exportiert, überwiegend in die Länder der EU. Sowohl die britische als auch die europäische Autoindustrie warnen deshalb nun, dass das Angebot an lokal gefertigten Batterien trotz laufender Investitionen in Batteriefabriken noch lange nicht ausreiche, um die wachsende Nachfrage zu bedienen. Bis auf Weiteres seien die Hersteller deshalb gezwungen, Batterien überwiegend aus Nicht-EU-Staaten zu importieren – vor allem aus China.

Die SMMT schrieb in einer Stellungnahme, über die der englische Guardian berichtet, dass die Hersteller angesichts der drohenden Zölle keine andere Wahl hätten, als die Kosten an die Kunden weiterzugeben. Demnach hat eine Analyse ergeben, dass der Preis für in der EU hergestellte Elektroautos in Großbritannien um durchschnittlich 3400 Pfund steigen würde (3900 Euro); umgekehrt würden Autos, die aus dem Vereinigten Königreich in die EU transportiert werden, im Schnitt 3600 Pfund teurer werden (4100 Euro).

SMMT-Chef Mike Hawes fordert eine Verschiebung der schärferen Ursprungsregeln um drei Jahre. Das sei eine "einfache, vernünftige Lösung, die dringend vereinbart werden muss". Auch die britische Regierung sprach von drei Jahren Aufschub, ebenso wie Deutschland und eine Reihe anderer EU-Mitgliedsstaaten. Frankreich hat sich dagegen ausgesprochen.

Sigrid de Vries, Generaldirektorin des europäischen Industrieverbands ACEA, sagte: "Es werden massive Investitionen in die europäischen Batterielieferketten getätigt – auch von europäischen Fahrzeugherstellern –, aber es würde mehr Zeit in Anspruch nehmen, den Umfang aufzubauen, der zur Einhaltung der Ursprungsregeln erforderlich ist."

Schon im Mai dieses Jahres mahnte VDA-Präsidentin Hildegard Müller, dass die verschärften Ursprungsregeln "auch tatsächlich in der Praxis erfüllbar sein" müssten. Dazu gehöre vor allem eine Anpassung an die "realen Gegebenheiten" wie den noch jungen Aufbau der europäischen Batteriefertigungskapazitäten. "Daher müssen die geltenden Ursprungsregeln in einem ersten Schritt bis Ende 2026 verlängert werden", hieß es in einem Statement.

Bei der EU stoßen die Rufe aus der Industrie nach einer Verschiebung der Deadline nicht auf taube Ohren. Zuletzt gab es Signale aus Brüssel, man wolle die "Made in Europe"-Regeln im Jahr 2024 noch locker auslegen – etwa durch eine industriefreundliche Definition des Ursprungs von Komponenten. Maroš Šefčovič, Vizepräsident der Europäischen Kommission, sagte der Financial Times, das werde den Herstellern mehr Zeit geben, um die Beschaffung der Batterien von Asien nach Europa zu verlagern.

Šefčovič machte jedoch auch klar, dass er die Deadline nicht um mehr als ein Jahr verschieben wolle, um die nötigen Investitionen in die europäische Batteriefertigung nicht unnötig auf die lange Bank zu schieben. So erscheint ein milder Übergang zu den verschärften Ursprungsregeln zwar als wahrscheinlich, aber einen behaglichen Jahresausklang wird es für die britische und die europäische Autoindustrie in diesem Jahr wohl nicht geben.

Aus dem Datencenter:

Neuzulassungsveränderung in Westeuropa nach Ländern im September 2023