Darum verschafft Audi Vorserienfahrzeugen ein zweites Leben

Erstmals vorgestellt hat Philipp Eder, Stratege in der Audi-Konzernbeschaffung das Projekt "MaterialLoop" auf der Automobilwoche-Konferenz 2023. Im Kern geht es darum, wie man beispielsweise Stahlschrott so aufbereiten kann, dass man das Material als hochwertiges Sekundärmaterial erneut für den Fahrzeugbau verwenden kann.

Für eine Machbarkeitsstudie hatte Audi zwischen 2022 und 2023 100 Altfahrzeuge, darunter ehemalige Erprobungsfahrzeuge, systematisch nach Kriterien der Wiederverwendbarkeit der Bestandteile zerlegt, geschreddert, sortiert und schließlich wieder an Zulieferer zur erneuten Verwendung geliefert.

Die daraus gewonnene Erkenntnis: Mehr als 60 Prozent des Aluminiums und mehr als 85 Prozent des Stahls aus Audis Altfahrzeugen könnten für die Produktion neuer Fahrzeuge wiederverwertet werden. Konkrete Zahlen nennt Audi nicht, es dürfte sich aber um mehrere hundert Kilogramm Stahlschrott pro Auto handeln.

Nach diesem Resultat geht Audi den nächsten Schritt und setzt als erster Autohersteller gemeinsam mit dem in Lünen ansässigen Recycling-Großunternehmen TSR Resource ein wirtschaftlich tragfähiges Rückführungskonzept um.

Dabei wird Stahlschrott aus Fahrzeugen zu qualitativ hochwertigem Sekundärmaterial aufbereitet und für die weitere Nutzung in der automobilen Lieferkette gesichert.

Eine besondere Rolle in der ersten Umsetzungsphase spielen sogenannten Vorserienmodelle. Diese fristen meist ein ebenso intensives wie kurzes Autoleben.

Diese spezielle Autogattung wird gebaut, um den Entwicklungsstand von neuen Modellen kurz vor der Markteinführung finalen Härtetests in allen Funktionen und unter allen Bedingungen zu unterziehen. 

Sobald die Produktionsfreigabe für die Serienfertigung erfolgt ist, haben die Versuchsträger ihre Aufgabe erfüllt. Der Großteil landet in der Schrottpresse. Ein Vorgang, der Autoentwicklern und -liebhabern bisweilen die Tränen in die Augen treibt. Nun können sie sich damit trösten, dass es bei Audi ein zweites Leben für diese Spezies gibt.

In der ersten Ausbaustufe stellt Audi seit diesem Jahr unter anderem mehrere Tausend Vorserienfahrzeuge für das Recycling zur Verfügung. Diese werden von TSR Resource in die Recycling-Anlage nach Duisburg verfrachtet, dort zerkleinert und zu hochwertigen Sekundärrohstoffen aufbereitet.

Im Gegenzug erhält Audi Zugriff auf das aus diesen Fahrzeugen gewonnene Material, das einem sogenannten "digitalen Materialkonto" gutgeschrieben wird. Auf dieses Guthaben können potenzielle Material- und Bauteillieferanten im Rahmen eines Vergabeprozesses zugreifen.
 

Dadurch erhalten mögliche Vertragspartner von Audi exklusiv Zugriff auf Recyclingrohstoffe aus Stahl. Vorteil für die Lieferanten: Sie vermeiden die teils hohen preislichen Schwankungen im Stahl-Einkauf. Zudem bewege man sich preislich auf einem für Lieferanten interessanten Niveau, teilt das Unternehmen mit.

Dazu Audi-Beschaffungsvorständin Renate Vachenauer: "Das Potenzial von Recycling ist enorm. Wir arbeiten stetig daran, den Anteil an wiederverwerteten Materialien in unseren Fahrzeugen zu erhöhen."

Weiter sagt sie: "Mit dem digitalen Materialkonto ist Audi Vorreiter in der Automobilindustrie und kann recycelte Rohstoffe als wertvolle Ressourcen unabhängiger vom Markt beschaffen. Audi zeigt: Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit gehen Hand in Hand."

Um weitere Erfahrungen zu sammeln, wie praktikabel und wirtschaftlich das System ist, fokussiert sich Audi zunächst auf das Recycling von eigenen Fahrzeugen und bewertet daran, wie sich der Prozess skalieren lässt.

Perspektivisch könnten zum Beispiel auch Alt- und Unfallfahrzeuge relevant werden. Im Kern stehe der Gedanke, wirtschaftlich sinnvolle Kreisläufe zu schließen. Dabei sind für den Autobauer auch weitere Materialien aus Altfahrzeugen interessant, etwa Aluminium, Kunststoff und Batterierohstoffe.

Grundsätzlich gelte, dass man Sekundärmaterialien überall dort einsetze, wo es technisch machbar, ökologisch sinnvoll und ökonomisch vertretbar ist, bestätigt eine Sprecherin.

Dazu zählen auch der anteilige Einsatz hochwertig aufbereiteter Sekundärmaterialien für die Windschutzscheibe des Audi Q4 e-tron (Glass-Loop) oder das Dachaußenteil des Audi Q6 e-tron (Steel-Loop).

Wenn sich die Wirtschaftlichkeit in der Praxis erweist, könnte als nächster Schritt einem Rollout auf VW-Konzernebene folgen. Schließlich hat nicht nur die Marke mit den Ringen hochgesteckte Nachhaltigkeitsziele. Der VW-Konzern will bis 2040 in seinen Fahrzeugen 40 Prozent Sekundärmaterial einsetzen.