Die Party im Autohandel ist vorbei

Krisenzeiten sind gute Zeiten. Das galt zumindest für viele Automobilhersteller und Kfz-Händler in den vergangenen Jahren. Auch wenn sie weniger Fahrzeuge verkauften, ­kamen sie zum Jahresende meist mit gutem Gewinn heraus. Keine Rabatte für Neuwagen, steigende Preise für ­Gebrauchte: Die relativ hohe Rendite war für viele ein Grund zu feiern. Doch die Party nähert sich dem Ende.

Und die Angst wächst, dass die Ernüchterung lange anhalten könnte. Viele haben das laufende Jahr bereits abgeschrieben. Als Optimist hoffte Martin Benecke, Marktexperte bei S&P Global, lange, dass die Branche noch im zweiten Halbjahr den Turn­around schafft. "Aber davon müssen wir uns verabschieden."

Nun erwartet Benecke einen Absatz von 2,68 Millionen Pkw, das entspricht in etwa dem Niveau des Vorjahres (2,63 Millionen Pkw). Die Branchenhoffnungen waren andere: Anfang des Jahres hatten noch viele mit einer Normalisierung gerechnet. Mit den damals erwarteten 2,9 bis 3,0 Millionen Pkw wäre der deutsche Markt quasi zur Normalität zurück­gekehrt.

Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Beneckes Prognosen für den deutschen Markt sind mittlerweile von Skepsis geprägt. "Ich glaube nicht, dass die Branche im nächsten Jahr wie ­Phönix aus der Asche aufsteigt", sagt er. "Bis zu einer Erholung dauert es bis ins Jahr 2024."

Zur Stärke der Vorkrisen­jahre, als der Markt zwischen 3,3 und 3,6 Millionen Pkw lag, kehrt die Nachfrage in absehbarer Zeit schon gar nicht mehr zurück.

Für die nächsten Monate geben nicht nur die Branchenparameter ­Anlass zur Sorge, sondern auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Das bringt der Ifo-Geschäfts­klimaindex gut zum Ausdruck: Die Stimmung rauscht in den Keller.

Im ­Juli sank der Index auf 88,6 Punkte, den niedrigsten Wert seit zwei Jahren. "Das hat sicherlich mit den Ängsten zu tun, dass es zu einer Gasrationierung kommen könnte, die insbesondere energieintensive Industrien hart treffen würde", sagt Ifo-Experte Oliver Falck.

China und Corona trüben die Aussichten zusätzlich ein. "Die Automobilbranche verwendet viele energie­intensive Vorprodukte, und der chinesische Markt ist einer der wichtigsten Auslandsmärkte für die deutsche Automobilindustrie. Damit treffen die ­genannten Sorgen die deutsche Automobilbranche ganz besonders."

Auch Guido Baldi, Konjunktur­experte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), ist skeptisch: "Leider wird sich die konjunkturelle Lage in den kommenden Monaten wohl weiter verschlechtern. Das Konsumklima ist im Keller, und die ­Geschäftserwartungen der Unternehmen sind eingetrübt."

Das DIW-­Konjunkturbarometer für das dritte Quartal 2022 weist auf eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung hin. Dass dies auch die Automobilbranche trifft, ist völlig klar: "Es ist davon auszugehen, dass gerade langlebige Konsumgüter wie Möbel, Mobiltelefone und eben auch Autos weniger oft gekauft werden."

In der Branche kommt diese Entwicklung erst mit Verzögerung an. Denn die Auftragsbücher sind bei den meisten Herstellern aufgrund der langen Lieferzeiten deutlicher voller als in den Jahren zuvor. Zwar hat sich die Situation zuletzt etwas gebessert, aber auf viele Modelle müssen die Kunden nach wie vor ein halbes Jahr und länger warten.

Doch in den nächsten Monaten dürfte sich das ändern. Hersteller wie BMW bekommen es bereits zu spüren. Die Bestell­eingänge gehen zurück. Vor allem in ­Europa spürt der Autobauer Gegenwind. "Gleichzeitig haben wir einen Auftragsbestand insbesondere bei den elektrischen Fahrzeugen, der sich auf einem Allzeithoch befindet", sagte BMW-Chef Oliver Zipse Anfang ­August bei der Präsentation der Halbjahreszahlen. „Unsere Auftragsbücher sind für mehrere Monate gut gefüllt. Diesen Auftragsbestand müssen wir erst einmal abarbeiten."

Doch der Münchner Autobauer hat sich von den ursprünglichen Erwartungen für das laufende Jahr mittlerweile verabschiedet. Kurz nach Veröffentlichung der Halbjahreszahlen strich er seine Händlerziele für den deutschen Markt zusammen. Über das gesamte Netz hinweg wurden die ­Ambitionen um zehn Prozent gesenkt. "Viel zu wenig", sagt ein BMW-Händler, der nicht genannt werden will. "Ich gehe davon aus, dass eine weitere Anpassung folgt."

Demnach liegt die Händlerorganisation im Schnitt rund 20 Prozent unter den Jahreszielen. Die zunehmend schwierigere Entwicklung geht wohl mit dem lange zu großen Optimismus und zu hohen Zielen ­einher.

Die Händler bekommen die zunehmende Skepsis der Kunden schon länger zu spüren. Bereits im Frühsommer berichteten sie von weniger Besuchern in den Showrooms. Mit jedem Monat wurden die Ausstellungsräume leerer. Dazu hat sicher die monatelange Verunsicherung über die Zukunft des ­Umweltbonus beigetragen. Die Kunden wussten nicht, ob und wie viel ­Zuschuss der Staat ihnen künftig beim Kauf eines Elektroautos gewährt.

Die noch größere Verunsicherung dürfte jedoch aus der Inflation resultieren, die es seit Jahrzehnten in dieser Größenordnung nicht mehr gab und vielen jüngeren Verbrauchern komplett unbekannt ist. Mehr als jeder zweite Verbraucher in Deutschland (57 Prozent) hat Angst um seine persönliche wirtschaftliche Zukunft. Das geht aus einer ­Umfrage hervor, für die das Marktforschungsinstitut GfK im Juli mehr als 1000 Verbraucher befragte.

Angstmacher Nummer eins: die ­Inflation. Die Befürchtungen von Preissteigerungen vor allem bei Energieträgern und ­Lebensmitteln lässt die Menschen ihr Geld zusammenhalten.

Inflation und Lieferengpässe samt hoher Nachfrage treiben natürlich auch die Autopreise. In den vergangenen zwölf Monaten haben Hersteller zum Teil drei Preisrunden gefahren. In den letzten Jahren erhöhten sie die Preise kräftig und senkten die Rabatte.

"Nicht jeder wird sich künftig noch ­einen Zweit- und Drittwagen leisten können und wollen", sagt Analyst ­Benecke. Durch die von Corona forcierten Veränderungen sind so viele Fahrzeuge auch zum Teil nicht mehr notwendig. "Mit dem Trend zu Homeoffice und E‑Bike reicht vielen Familien nur noch ein Fahrzeug", ist Benecke überzeugt. Die Folge: "Ein Teil des Markts bricht der Branche dauerhaft weg."

Die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kommen für die Händler zu einem sehr ungüns­tigen Zeitpunkt: "Wir hangeln uns seit Jahren von Krise zu Krise und ­fahren ­immer mehr auf Sicht", sagt Christian Scherer, geschäftsführender Gesellschafter der Scherer Gruppe, die mit rund 35.000 verkauften Fahrzeugen und einem Milliarden-Umsatz zu den größten Autohausgruppen der VW-Konzernmarken zählt. "Lang­jährige Prognosen sind kaum noch möglich."

Dabei müssen die Autohändler im Rahmen der Branchentransformation derzeit weitreichende Entscheidungen treffen und sich neu aufstellen. Das zieht sich quer durch alle Marken, wenn auch in unterschiedlicher Stärke. So stehen die meisten Hersteller beim Vertrieb auf der Kostenbremse. Sie verkleinern nicht nur die Netze, sondern kürzen auch die Vergütung. Egal ob die Hersteller am selektiven Vertrieb festhalten oder auf das Agenturmodell umschwenken.

Das bekommen die Händler der Volkswagen-Konzernmarken derzeit kräftig zu spüren. Bei jedem vermittelten Elektroauto erhält ein VW-Partner noch eine fixe Provision von vier Prozent plus eine flexible Vergütung von zwei Prozent. Das reicht nicht, sagen die Händler und kämpfen für eine ­höhere Vergütung.

Die Einführung des ID Buzz über ein Agentursystem ­haben die Partner zunächst gestoppt. Bei den anderen Konzernmarken – ­Audi, Seat und Skoda – stocken die ­Verhandlungen zur Einführung des Agenturmodells zunehmend.

Auch bei anderen Herstellern, die auf das Agentursystem umstellen, ist die Vergütung der Knackpunkt. Doch auch wenn die Hersteller am selektiven Vertrieb festhalten, streichen viele die Vergütung drastisch ­zusammen. So will Renault die Händlermarge in den neuen Verträgen auf sieben Prozent senken, wie Händler ­berichten. Damit wäre sie gerade noch zwei Prozentpunkte über der Marge von Dacia. Dabei gibt es deutliche ­Unterschiede zwischen Ausstellungsräumen von Renault und Budget-­Konzernschwester Dacia.

"Die Rahmenbedingungen im Autohandel werden deutlich schlechter. ­Einerseits sinken die Margen, andererseits steigen die Kosten. Zudem gibt es immer mehr neue Player am Markt, die sich ihr Stück des Kuchens sichern wollen", sagt VW-Händler Scherer. "Darauf müssen wir uns schnell einstellen."

Viele Händler stehen vor großen ­Herausforderungen. Zumal sie sich bei der Neuaufstellung auf ihre großen Partner nicht stützen können. "Der Handel muss sich unabhängiger von den Herstellern machen", sagt Mathias R. Albert, Inhaber der Auto-Domicil-Gruppe und Gründer des Auto-Abo-Start-ups ViveLaCar. Das bestätigt auch Handelsexperte Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft: "Autohäuser müssen sich in Zukunft jenseits des Hersteller-Vertrags neue Wertschöpfungsmöglichkeiten erschließen."

Das dürfte den einen oder anderen auch ganz aus der Branche heraus­führen. Die Konsolidierung, die bislang eher langsam verlief, wird ver­mutlich in den nächsten Monaten deutlich an Fahrt gewinnen. Reindl prognostiziert, dass sich die Zahl der selbstständigen Autohändler bis zum Ende des Jahrzehnts von 6800 auf 3800 nochmals halbiert. Manchem Händler könnte bald ein böses Erwachen drohen.

Aus dem Datencenter:

Zufriedenheit des deutschen Markenhandels laut MarkenMonitor 2001 bis 2022