Dem Handel droht neue Konkurrenz

Moderne Autos gehen immer seltener kaputt. Nach Zahlen der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) mussten Pkw 2022 nur noch 0,4-mal pro Jahr für Reparaturen in die Werkstatt - ein Allzeittief. Wenn es aber doch so weit ist, wird es immer teurer: Stand eine Reparatur an, zahlten Fahrzeughalter laut DAT im Schnitt 506 Euro - allein zum Vorjahr ein Plus von 8,35 Prozent. Kein Zufall also, dass Garantieversicherungen seit Jahren immer beliebter werden.

Laut einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsunternehmens Puls im Auftrag des Garantieversicherers CarGarantie betrachten 54 Prozent der Gebrauchtwagenkunden in Deutschland eine 12-monatige Garantie mittlerweile als "Muss-Leistung" des Händlers. Mehr als die Hälfte wünscht sich nach Ablauf zudem ein aktives Angebot zur Garantieverlängerung.

Damit rennen sie bei Händlern und Herstellern offene Türen ein. Der Grund liegt auf der Hand: Solange der Kunde in der Garantie steckt, ist er bei Wartung und Reparatur an die Vertragswerkstatt gebunden und wandert nicht in freie Werkstätten ab. "Vor 20 Jahren waren Garantien beim Autokauf ein Add-0n, heute sind sie aus Händler- und Kundensicht fast ein Pflichtprogramm", sagt Sascha Schüren, General Manager Deutschland bei CarGarantie.

Über die exakte Entwicklung der Abschlusszahlen schweigen sich die Garantieanbieter aus. Doch ein Blick in die Bilanzen zeigt, dass das Geschäft kräftig wächst. Von 2006 bis 2021 stiegen die im deutschen Markt gebuchten Bruttobeiträge von CarGarantie von 102 auf rund 138 Millionen Euro. Konkurrent Real Garant verzeichnete hierzulande von 2008 bis 2021 einen Anstieg von 26 auf rund 107 Millionen Euro. Und gerade in jüngster Zeit hat die Bedeutung von Garantien noch einmal rapide zugenommen. Das liegt an mehreren parallel laufenden, sich verstärkenden Trends.

Der offensichtlichste ist die E-Mobilität. "Mit E-Autos lässt sich im Service kaum Geld verdienen. Hersteller und Markenhändler versuchen daher, die verbleibenden Verbrenner so lange wie möglich an sich zu binden und sich deren gute Service-Erträge zu sichern", sagt Autohaus-Unternehmensberater Sascha Röwekamp. Denn die meisten Kunden würden die Markenwerkstätten verlassen, sobald ihre Garantien auslaufen, berichtet der ehemalige Beresa-und Lueg-Manager.

Daneben lässt aber auch der Wechsel in den Agenturvertrieb Garantien wichtiger werden. Wenn alle Händler denselben Preis haben, müssen andere Alleinstellungsmerkmale her, um Autokäufer erst zu überzeugen und dann langfristig zu binden.

Angesichts schmaler Agenturprovisionen sichern der Vertrieb von zusätzlichen Garantieverlängerungen oder Anschlussgarantien sowie die darauf folgenden Aftersales-Umsätze zudem dringend benötigte Erträge. Immerhin drei Viertel der Kunden sind bereit, für eine längere Garantie einen monatlichen Aufpreis von bis zu 40 Euro zu bezahlen. Die Laufzeit der abgeschlossenen Garantieverlängerungen nimmt dabei nach Angaben von CarGarantie seit Jahren zu. "Wenn die Kunden bereit sind, für längere Garantielaufzeiten zu investieren, sollten Hersteller und Handel das auch nutzen, um so die Ertragsmöglichkeiten optimal auszuschöpfen", kommentiert Schüren.

Doch ob die Ertragsquelle auf Dauer erhalten bleibt, ist fraglich. "Es ist völlig offen, wer in Zukunft Garantien verkauft. Wenn die Händler nicht aufpassen, reißen die Hersteller dieses Geschäft an sich", warnt Röwekamp. Möglich macht es das Agenturmodell. Im Gegensatz zum selektiven Vertrieb haben die Hersteller hier eine direkte Vertragsbeziehung zum Kunden und könnten den Handel umgehen. "Viele Hersteller planen bereits, Garantien über In-Car-Payment zu verkaufen", sagt Röwekamp. Kunden bekommen dabei ein Garantieangebot auf ihr Display im Auto angezeigt und können die Verlängerung per Knopfdruck buchen. Die nötigen Kontakt-Zahlungsinformationen liegen meist bereits vor - dank Kundenkonten wie Mercedes me oder Volkswagen We. "Der Autohändler ist in diesem Szenario überflüssig", so Röwekamp.

Das muss nicht so kommen. Schüren ist überzeugt, dass beide Seiten eine gemeinsame Lösung finden werden. Eine Garantie dafür gibt es jedoch nicht. Die Händler müssten viel näher an die Kunden rücken und ihre Kundenansprache intensivieren, fordert Röwekamp. "Das ist ein No-Brainer. Der Verkäufer muss nur anrufen, bevor das Angebot des Herstellers im Display des Autos aufploppt."

Dass immer mehr Autos mit Garantien abgeschlossen werden, hat zu guter Letzt auch mit Änderungen an den gesetzlichen Rahmenbedingungen zu tun. Zum 1. Januar 2022 trat eine Reform des Gewährleistungsrechts in Kraft, mit der sich die Beweislastumkehr von sechs auf zwölf Monate verdoppelte. Bedeutet: Tritt bei einem Gebrauchtwagen innerhalb von zwölf Monaten nach dem Kauf ein Mangel auf, der nicht im Kaufvertrag festgehalten ist, wird vermutet, dass dieser bereits bei der Übergabe vorlag. Der Verkäufer ist infolgedessen verpflichtet, den Mangel zu beseitigen. Ist er überzeugt, dass der Mangel erst später eingetreten ist, muss er das beweisen. "Der Erfahrung nach gelingt es selten, dies zu widerlegen. Das erhöht das Risiko der Händler", sagt Rechtsanwalt Christian Genzow. Das sehen auch viele Händler so: "Händler nutzen neben dem Kundenbindungseffekt noch mal verstärkt seit Anfang 2022 Garantien, um ihr Risiko aus der Gewährleistung zu minimieren", berichtet Claus Schlicker, General Manager Cooperations bei CarGarantie. Das habe die Abschlusszahlen im zweistelligen Prozentbereich zulegen lassen.

Und der nächste Wachstumsschub kündigt sich bereits an. "Bei E-Autos entsteht gerade ein großer Markt für Garantien", sagt Röwekamp. In diesen seien überdurchschnittlich viele elektronische Bauteile wie Steuergeräte und Sensoren verbaut. Diese ließen sich kaum reparieren, sondern müssen bei Problemen meist getauscht werden - ein Kostenrisiko, das viele Kunden nicht eingehen wollen. Hinzu kommen die Akkus - das teuerste Bauteil von E-Autos. Noch sind die meisten durch OEM-Garantien abgesichert. Doch sobald immer mehr aus der Garantie fallen, werde der Markt sukzessive wachsen, prognostiziert Schlicker.