Italiens Autoindustrie: Mit Chinas Hilfe zurück zu neuer Größe?

Es war ein Angriff auf das italienische Selbstbewusstsein: Carlos Tavares, CEO von Stellantis und damit auch Chef der Fiat-Marken, erwägt, den ikonischen Fiat 500 künftig nicht mehr in Italien zu fertigen.

Bei mehreren Gelegenheiten sagte Tavares, wenn es keine ausreichende Förderung für E-Autos gebe, müsse man an eine Verlagerung der Produktion ins Ausland denken. "Wenn Sie keine Subventionen für den Kauf von E-Fahrzeugen gewähren, setzen Sie die italienischen Werke aufs Spiel," drohte er.

Das war die Retourkutsche für eine Warnung von Regierungschefin Giorgia Meloni: "Wenn man ein Auto auf dem internationalen Markt verkaufen will, indem man es als italienisches Juwel anpreist, dann muss dieses Auto in Italien produziert werden."

Dass das keine leere Drohung war, machte Italiens Minister für Unternehmen und Made in Italy, Adolfo Urso, kurze Zeit später deutlich. Urso ist Minister im Kabinett von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni; beide gehören der Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) an.

Der Minister erklärte, die Modellbezeichnung "Milano" für den neuen Kleinwagen von Alfa Romeo sei nicht legitim, da dieses Auto im polnischen Werk Tychy produziert werde. Das gelte schließlich auch für andere Produkte mit lokalem Namensbezug wie etwa "parmigiano." 

Stellantis musste einen Rückzieher machen und benannte in Windeseile den neuen Alfa in "Junior" um. Einie Wochen später wurde mit der gleichen Begründung dem neuen Micro-Auto Fiat Topolino untersagt, ab Werk eine italienische Flagge zu tragen. Den Aufkleber müssen sich Italien-Fans jetzt nachträglich selber auf das Auto kleben.

Hinter der skurrilen anmutenden Auseinandersetzung steckt eine Angst: dass Italien seinen Status als Autoland mit nennenswerter Produktion einbüßt. Zahlen untermauern, wie berechtigt die Sorge ist. 

Seit 1997 verliert Italiens Autobranche Produktionsvolumen, von einigen Phasen der Erholung abgesehen. So wurden 1997 noch gut 1,8 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge in dem Land gebaut, 2013 war mit 639.000 Einheiten ein Tiefstand erreicht.

Das lag an schwachen Produkten und der Verlagerung von ganzen Baureihen ins Ausland. Modelle wie der Fiat Panda oder der Lancia Ypsilon wanderten nach Polen, nach Serbien (Fiat 500 L) oder in die Türkei (Fiat Fiorino, Doblo, Tipo). In der Kompaktklasse wurden ganze Modellreihen eingestellt (Stilo, Bravo, Delta, Thesis).

2023 produzierte Italien wieder knapp über 880.000 Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Die Branche hat damit noch einen Anteil von 5,6 Prozent am Bruttoinlandsprodukt und von 11,5 Prozent am gesamten verarbeitenden Gewerbe. Aber die Regierung Meloni würde gern die symbolische Millionengrenze überschritten sehen. 

Um die Abhängigkeit im Automobil-Geschäft vom dominierenden Stellantis-Konzern zu mindern, will die Regierung Meloni neue Unternehmen und Marken ins Land holen. Immer wieder lanciert Rom Berichte über Verhandlungen mit chinesischen Herstellern. Aktuell soll es Gespräche mit dem Hersteller Dongfeng über ein Werk in Italien geben.

Zudem wurde bekannt, dass die Regierung einen Plan zur Wiederbelegung der nicht mehr aktiven Automarken Autobianchi und Innocenti verfolgt. Ein oder mehrere chinesische Investoren sollen diese Marken vom Rechteinhaber Stellantis übernehmen und künftig wieder neue Modelle in Italien bauen.

Ob diese Idee tatsächlich zu neuen Projekten führen wird, ist allerdings fraglich. Nicht zuletzt dürfte Stellantis kein Interesse daran haben, Chinesen den Weg in Europa zu bereiten.

Ein Grind für die Schwäche von Italiens Autoindustrie: Das Land und seine bedeutendste Marke Fiat sind Spätzünder auf dem Elektromarkt. Einer Studie der Beratung PwC zufolge stellen in Italien immer noch fast 40 Prozent der größten 350 inländischen Zulieferer der Automobilindustrie ausschließlich Komponenten für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor her.

Der Automobilindustrieverband Anifa zählte für 2023 noch rund 2160 Unternehmen mit 165.000 Mitarbeitern. Doch der Verband macht sich große Sorgen wegen der Elektrifizierung des Sektors. Die Branche könne in Italien bis zu 73.000 Stellen einbüßen, rechnete der Verband vor

Dabei war Italiens Automobilindustrie jahrzehntelang ein Sektor, der seit den 1950er Jahren einen bedeutenden Beitrag zur italienischen Wirtschaft leistete. Fiat, Alfa Romeo, Ferrari, Maserati & Co standen für Stil und Ingenieurskunst.

Doch die Marken haben technologisch in vielen Bereichen den  Anschluss ans Elektro-Zeitalter und an Trends wie software-definierte Fahrzeuge verloren. Gutes Design und potente Verbrennermotoren mögen Luxusmarken wie Ferrari und Lamborghini immer noch gute Ergebnisse bringen. Aber für das Massengeschäft reicht es nicht.

Hinzu kommen die besonders starken Folgen der Pandemie für die italienische Zuliefererindustrie. Die Produktionsketten wurden lange unterbrochen und haben sich teilweise bis heute nicht vollständig erholt.Viele Zulieferer kämpfen ums Überleben.

Die Regierung hat zwar Hilfspakete geschnürt, doch eine langfristige Erholung ist angesichts der aktuellen Branchenflaute nicht in Sicht.

Positiv ist in dieser Lage die immer weiter getriebene Integration des früheren FCA-Konzerns in das globale Netzwerk von Stellantis. Dies gibt den italienischen Marken Zugang zu neuen Technologien, Märkten und Synergien, die dringend erforderlich sind.