Schlicht und schnörkellos, dafür aber unkompliziert, alltagstauglich und vor allem bezahlbar – über Jahrzehnte hat diese Kombination den VW Golf zum König der Kompaktklasse und damit zu dem Auto schlechthin gemacht. Doch damit ist es längst vorbei: Erst sind den Wolfsburgern die Ambitionen durchgegangen und dann kam auch noch die Mobilitätswende: Spätestens seit alle Welt nach Elektroantrieben schreit, gehen die Preise durch die Decke. Und wenn schon ein Dacia Spring erst ab 24.550 Euro zu haben ist, kann von bezahlbarer Alltagsmobilität für die Generation E kaum die Rede sein. Kein Wunder also, dass die Stromer gerade mit Spannung nach China schauen – und der Blick dabei gebannt auf den BYD Dolphin fällt. Denn wenn der neue Riese aus dem fernen Osten, der VW gerade erst von Platz eins der Zulassungen verdrängt hat, sein aktuelles Einstiegsmodell im letzten Quartal auch zu uns bringt, könnte das zum großen Fischzug in der Kompaktklasse werden. Denn mit einem elektrischen Fünftürer von 4,30 Metern, mit bestenfalls 427 Kilometern Reichweite und einem Grundpreis von 30.990 Euro kommt BYD dem Ideal vom Golf für die Generation E deutlich näher als die heimische Konkurrenz und insbesondere als der VW ID.3, der immerhin 20 Prozent mehr kostet.
Viel Staat kann man mit dem kleinen Stromer allerdings nicht machen. Während Autos wie der ID.3 zumindest ein bisschen Aufbruch in die Zukunft signalisieren, wirkt der Dolphin wie ein klassischer Kompakter, dem man weder den Elektroantrieb noch den Jahrtausendwechsel ansieht. Wären da nicht der zu einem schwarzen Schild verkommene Kühlergrill, die optionale Zweifarblackierung, das Kritzeldekor auf der C-Säule und der dreidimensionale Schriftzug hinter dem Glas der Rückleuchten – der kleine Chinese könnte auch als Japaner aus den 1990ern durchgehen.
Auch innen ist der Dolphin eher klassisch gestrickt. Ja, der Skateboard-Plattform und 2,70 Metern Radstand sei Dank, haben die Hinterbänkler erfreulich viel Platz. Doch eingemauert zwischen einer riesigen Konsole auf dem Mitteltunnel, die dafür allerdings schier unendlich viel Stauraum bietet, ist das Gefühl in der ersten Reihe meilenweit entfernt vom luftigen Raumerlebnis der meisten anderen als reine Elektroautos entwickelten Kompakten. Der Kofferraum ist mit 345 Liter von durchschnittlichem Format und einen Frunk haben sich die Chinesen offenbar gespart, obwohl unter der Haube für ein paar Kabel oder anderen Kleinkram schon noch Platz wäre.
Kommt der Golf der Generation E aus China?
BYD bringt den Dolphin auf den deutschen Markt. Mit seinem für Elektroautos günstigen Preis könnte er punkten, allerdings hat er auch Schwächen.
Das einzige Highlight findet man deshalb im Bedienkonzept: Das wirkt zwar auf den ersten Blick ebenfalls vergleichsweise konventionell mit seinem kleinen Bildschirm hinter dem Lenkrad und dem großen Touchscreen daneben. Doch auf den zweiten erkennt man erfreulich viele Tasten und Schalter, die einem das orientierunsglose Hin- und Hergerutsche in irgendwelchen unbeleuchteten Sliderlisten erspart oder auf großen Sensorfeldern im Lenkrad. Da schickt China schöne Grüße nach Wolfsburg. Und wer den kleinen Knopf oben links im Lenkrad entdeckt, der kann seine Mitfahrer sogar nachhaltig beeindrucken. Denn damit dreht man binnen Sekunden das Zentraldisplay um 90 Grad und kann so die Ansicht wahlweise fürs Videostreaming oder für die Navigation optimieren.
Weil die Chinesen mit spitzem Stift gerechnet haben, darf man auch von der Technik keine Wunder erwarten. Im Basismodell begnügen sie sich deshalb mit einem Akku von 44,9 KWh, der im Normzyklus für etwa 340 Kilometer reichen soll und einen im Bug montierten Motor von mageren 95 PS speist. Mehr als 150 km/h sind deshalb auch nicht drin.
Wer 2000 Euro mehr ausgibt, der bekommt dann allerdings schon einen 176 PS starken Motor mit 160 km/h Spitze. Und für 35.990 Euro aufwärts baut BYD einen größeren Akku mit 204 PS ein und verspricht einen Sprintwert von 7,0 Sekunden. Aber an all zuviel Eile sollte sich der geneigte BYD-Fahrer ohnehin nicht gewöhnen, denn erstens sind Lenkung und Fahrwerk nicht eben vollgasfest, sondern erfüllen allenfalls die Minimalanforderungen an den sicheren und komfortablen Transfer von A nach B. Und zweitens ist spätestens beim Laden ist ohnehin Entschleunigung angesagt. Denn der kleine Akku wird gerade mal mit sieben kW Wechsel- und 60 kW Gleichstrom geladen und selbst beim großen Akku sind es nur elf und 88 kW.
Spannend ist allerdings die Akku-Technik selbst. Denn BYD setzt statt auf die üblichen Lithium-Ionen-Zellen auf die so genannte Blade-Batterie, die Lithium-Eisen-Phosphat als Kathodenmaterial nutzt. Das Konzept gilt als sicherer und garantiert eine hohe thermische Stabilität. Damit, so argumentieren die Chinesen, ist die Blade-Batterie nicht nur besonders sicher und langlebig, sondern auch sehr leistungsstark bei einem extrem niedrigen Energieverbrauch. Trotzdem ist übrigens beim Dolphin immer und ohne Aufpreis auch eine Wärmepumpe an Bord.
Ja, der Dolphin ist schlicht und schnörkellos wie einst der Golf, er ist unkompliziert und alltagstauglich. Aber selbst wenn er eines der billigsten Elektroautos am Markt ist, geht er zumindest nach den Maßstäben der alten PS-Welt noch lange nicht als bezahlbar durch. Das wissen auch die Chinesen und haben deshalb noch einen weiteren Trumpf im Ärmel. So, wie bei VW der ID.2 die Hürde für den Einstieg in die E-Welt auf 25.000 Euro drücken will, so dreht auch BYD mit dem Seagull weiter an der Preisschraube. Mit einem kleinen, aber entscheidenden Unterschied. Während der ID2 eine Vision ist, die frühestens in zwei Jahren wahr wird, hat die Möwe aus Shenzen ihre Messepremiere bereits hinter sich und kommt zumindest in China noch in diesem Sommer in den Handel.
Aus dem Datencenter: