Daheim in China haben sie VW nach 15 Jahren erstmals von der Spitzenposition in der Zulassungsstatik verdrängt, und jetzt wollen sie den Niedersachsen auch bei uns auf die Pelle rücken. Denn mit einer Nischenrolle gibt sich BYD nicht ab: „Zehn Prozent Marktanteil unter den Elektroautos trauen wir uns schon zu,“ haben sie diesen Sommer beim Deutschlandstart verlauten lassen. Doch das ist nur ein Zwischenziel. „Mittelfristig wollen wir hier in Europa unter die Top 5 der Gesamtzulassungen,“ legt Brian Yang im Gespräch mit der Automobilwoche nach. Er gehört zum europäischen Führungsteam des Shooting Stars aus Shenzhen, und auch wenn er für diese ambitionierten Ziele keinen Zeitplan nennt, sollten sie dabei hellhörig werden in Wolfsburg. Denn bei BYD gehen die Uhren etwas schneller und die Kalender wirken merklich kürzer: In nicht einmal 30 Jahren ist „Build Your Dreams“ erst zum Batteriegiganten für die Smartphone-Industrie geworden und dann fast mehr noch als Tesla zum Angstgegner für die etablierten Autokonzerne aufgestiegen.
Und auch Yang und seine Kollegen in der Europazentrale in Amsterdam stehen voll auf dem Gas: Schon im ersten Jahr haben sie mit Han, Atto3, Dolphin und Tang gleich vier Modelle im Handel und die nächsten zwei sind bereits auf dem Weg nach Europa: Erst kommt der Seal, der als schmucke Elektrolimousine mit guten 500 Kilometern Reichweite gegen das Tesla Model 3 antritt, und kurz darauf der technisch eng verwandte Seal U, der auf Konkurrenten wie den VW ID.4 zielt.
BYD will unter die Top 5 in Europa
Der chinesische Hersteller BYD verfolgt ambitionierte Wachstumspläne in Europa. Die Automobilwoche war zu Besuch in der Zentrale in Shenzhen.
Aber Yang weiß, dass sie sich ranhalten müssen. Denn viel mehr als zwei, drei Jahre gibt er BYD und den anderen chinesischen Newcomern nicht, um ihre Claims in Europa abzustecken und den Markt neu aufzuteilen. „In dieser Zeit wird sich entscheiden, wer es schaffen wird und wer auf der Strecke bleibt,“ ist er überzeugt. Dafür braucht es allerdings nicht immer mehr neue Premium-Stromer, wie sie Nio oder HiPhi bringen, und auch keine VW-Konkurrenten wie Seal oder Seal U. „Sondern am stärksten aufmischen könnte man den Markt mit einem ebenso alltagstauglichen wie bezahlbaren Elektroauto“, sagt der Europa-Manager und zieht Parallelen zum Erfolg der Renault-Tochter Dacia in der Verbrenner-Welt. „Wer das Akkuauto für die breite Masse bringt, der wird den Markt dominieren.“
Wenn Yang über so einen elektrischen „Volkswagen“ mit 300 Kilometern realer Reichweite für unter 20.000 Euro spricht, klingt er sehr hypothetisch. Dabei könnte er ganz konkret werden. Denn genau so ein Auto hat BYD im April auf der Motorshow in Schanghai vorgestellt: Seagull heißt der Kleinwagen, der in China ungerechnet keine 10.000 Euro kostet, im chinesischen Zyklus schon in der Basisversion 300 Kilometer weit kommt und jeden Monat fünfstellige Verkaufszahlen erreicht. Doch erstens will BYD in Europa partout nicht in die Billigecke verbannt werden, und zweites weiß jeder in Shenzhen, dass es für den Weg nach Westen mehr Ausstattung und vor allem mehr Sicherheit braucht und dass der Kampfpreis dann nicht mehr zu halten wäre. Deshalb wird der Kleinwagen im Dialog mit ausländischen Gästen schnell zum großen Elefanten im Raum und man kann zwei Tage durchs Hauptquartier in Shenzen laufen, ohne auch nur einen konkreten Satz zu hören oder mehr vom Auto zu sehen als die schemenhafte Vorbeifahrt eines unvorsichtigen Entwicklers.
In Shenzen arbeitet das Gros der 70.000 Forscher und Entwickler, die jeden Tag knapp zwei Dutzend neue Patente anmelden, hier bauen sie ihre allermeisten Autos und hier haben sie in nur einem Jahr die erste Fabrik für ihre revolutionäre Blade-Batterie aus dem Boden gestampft, aus der jetzt Tag für Tag 90.000 Zellen kommen.
Und wenn von 1,25 Millionen Elektroautos im ersten Halbjahr gerade mal 70.000 Autos exportiert werden, ist China auch der mit überwältigendem Abstand größte Markt. „Aber wenn wir weiter wachsen wollen, sind die Chancen im Ausland größer“, sagt Brian Luo aus dem Strategie-Team in der Zentrale. Denn in China liege der Marktanteil der Elektrofahrzeuge bereits bei 30, in Europa dagegen zum Beispiel erst bei 15 Prozent. „Da ist also viel mehr Musik drin“. Schneller und gründlicher als alle anderen Chinesen vergrößert BYD auch seinen globalen Footprint. Und nachdem das Unternehmen bereits Fahrzeug- und Batteriewerke in Amerika und anderen asiatischen Staaten angekündigt hat, ist jetzt offenbar Europa an der Reihe: Gerüchte halten sich hartnäckig, aber bald soll es Klarheit geben: „Wir haben uns viele Optionen angeschaut und werden noch in diesem Jahr eine Entscheidung verkünden“, sagt Luo. Auf die Frage, ob dabei ein Standort in Deutschland nicht ein starkes Signal wäre, weil BYD sich damit in die Höhle des Löwen wagen würde, gibt es als Antwort nur ein höfliches Lächeln.
Doch bei allem Charme hat diese Idee auch ihre Schattenseiten. Denn die Kollegen in der Europa-Zentrale haben bereits gelernt, dass sie in Deutschland eine Tugend brauchen, die bei BYD nicht sonderlich ausgeprägt ist: Geduld. Und da geht es bislang noch nicht um Großprojekte wie Fabriken, sondern um das Klein-Klein des Vertriebsnetzes. Dass BYD meilenweit entfernt ist von den rund 100 Standorten, die Europa-Manager Yang gerne hätte und sich mit einem guten Dutzend Outlets begnügen muss, liege nämlich nicht am mangelnden Interesse der Partner. Sondern die Schuld gibt Yang allein der deutschen Bürokratie: „Während wir in China einen neuen Händler auf der grünen Wiese in sechs Monaten bauen und eröffnen, dauert in Deutschland selbst die Renovierung eines bestehenden Betriebes schnell mal ein Jahr.“
Aus dem Datencenter: