"Viele investieren nicht mehr in Verbrenner – wir arbeiten genau umgekehrt"

Herr Giannini, ist Horse der ungewöhnliche Versuch, die Verbrennertechnik im Zeitalter der Elektromobilität und der Elektrifizierung noch viele Jahre in die Zukunft zu retten?

Diese Frage wird oft gestellt – und ich sage Ihnen: Horse stellt sich keineswegs gegen die Elektromobilität. Ich bin auch persönlich fest vom Sinn und von den Chancen der Elektromobilität überzeugt.

Während aber viele Unternehmen beschlossen haben, nicht mehr in die Entwicklung und die Innovation im Bereich der Verbrennermotoren und der dafür benötigten Getriebe zu investieren, arbeiten wir genau umgekehrt.

Wir bauen unsere Forschungs- und Entwicklungskapazitäten aus, die von den beiden ehemaligen Traditionsunternehmen Renault und Volvo Cars stammen. Damit tragen wir übrigens auch zur beschleunigten De-Karbonisierung der gesamten Automobilindustrie bei.

Inwiefern? Werden Sie künftig auch E-Autos bauen?

Nein, wir fokussieren uns auf moderne Verbrennertechnik und Hybrid-Technik. Indem wir aber in diesen Bereichen Innovationen vorantreiben, schaffen wir bei vielen Kunden mehr finanziellen und personellen Spielraum, um ihrerseits ohne Kompromisse in die E-Mobilität zu investieren.

Wir entlasten diese Hersteller um geschätzt bis zu 30 Prozent der bisherigen Kosten in der Antriebsentwicklung. Die allermeisten Hersteller haben sich klar festgelegt und es wäre für sie äußerst kostspielig und riskant, langfristig an der Verbrennertechnik festzuhalten. Wir springen sozusagen in diese Lücke rein und sorgen dafür, dass es moderne Verbrenner in ausreichender Stückzahl auch noch viele Jahre lang geben wird.

Es gibt kein historisches Vorbild für ein solches Verbrenner-Gemeinschaftsunternehmen. Woran orientieren Sie sich?

Wir sind einzigartig, das stimmt. Es gibt wirklich niemanden sonst, der das macht, was wir vorhaben – ausgenommen im kleineren Umfang bei sehr großen Motoren im Nutzfahrzeugbereich. Auf jeden Fall nicht im Bereich der Personenkraftwagen.

Es ist also wirklich aufregend, dieses Unternehmen zu gründen, die Möglichkeiten sind enorm. Wir verstehen uns als Lösungs-Anbieter, um auf die Bedürfnisse von Verbrennungsmotor-Kunden weltweit zu reagieren. Dafür verfügen wir bereits jetzt über ein großes Portfolio unterschiedlichster Aggregate und Getriebe.

Was bedeutet der Einstieg von Saudi Aramco in das Joint Venture und was hat Aramco dort vor? Solch ein Trio hat es noch nie gegeben

Für Aramco spielen natürlich die Perspektiven für alternativen Kraftstoffe und synthetische Kraftstoffen eine Rolle. Und wir bei Horse denken, dass wir bei der Nutzung und Einführung dieser Kraftstoffe künftig eine entscheidende Rolle spielen werden. Aramco wird uns dabei tatkräftig unterstützen, die Innovation im Bereich neuer Kraftstoffe voranzutreiben.

Ist Horse mit dem Beitritt von Aramco ein für allemal konstituiert oder ist das Unternehmen weiterhin offen für neue Partner, die dem Joint Venture beitreten wollen?

Ganz offen gesagt, wir führen derzeit Gespräche mit mehreren sehr unterschiedlichen Unternehmen. Viele Unternehmen, die sehen, was wir vorhaben, haben großes Interesse daran, sich diesem Vorhaben anzuschließen. Das kann aber auf unterschiedliche Weise geschehen, etwa auf eine aktivere Art, wie es jetzt Aramco getan hat, oder auf eine passivere Art.

Wir haben es nicht eilig, weitere Partner ins Boot zu holen. Aber wir öffnen gerne unsere Türen. Wir werden es tun, wenn es Sinn macht. Dabei schauen wir uns sowohl im Bereich Upstream (Zusammenarbeit mit Herstellern) als auch Downstream (Zusammenarbeit mit Zulieferen) um.

Benötigt Horse mittelfristig sämtliche industriellen Kapazitäten, die durch den Zusammenschluss von 17 Produktionsstandorten und 19.000 Mitarbeitern entstanden sind? Oder seht Horse wie die gesamte Fahrzeugindustrie vor der Frage, welche Bereiche womöglich verkleinert werden müssen?

Ich bin absolut überzeugt, dass wir sämtliche Kapazitäten benötigen. Ich denke sogar, wir werden künftig noch mehr Kapazität benötigen. Wir müssen uns vor Augen führen, dass auch noch im Jahr 2035 mindestens 50 Prozent aller neu zugelassenen Autos weltweit einen Verbrennungsmotor haben werden.

Derzeit decken wir mit unserem Portfolio bereits rund 85 Prozent aller Arten von kleineren und mittelgroßen Verbrennern für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge ab. Dieser Anteil kann in Zukunft natürlich auch noch steigen.

Ein Bereich, der sich sicherlich noch stark entwickeln wird, sind kleine, kompakte Verbrennermotoren als Range-Extender für elektrifizierte Fahrzeuge. Da haben wir auch ein Projekt mit Aramco gestartet. Und schauen Sie sich mal genau die Zahlen bei den Elektroautos in Nordamerika an – die meisten von ihnen sind keine BEVs, sondern Hybridmodelle.

Sind die aktuell verfügbaren Motoren von Horse allesamt Neuentwicklungen?

Viele ja, aber etliche sind auch schon seit mehreren Jahren in der Produktion und sie sind sehr kosteneffizient. Solche Motoren sind insbesondere für Schwellenmärkte wie den Nahen Osten oder Südamerika interessant.

Bei den neueren Entwicklungen geht es immer darum, den idealen Punkt zu treffen zwischen technischen und regulatorischen Anforderungen und den Kosten.

In China sind einige reine E-Autos schon heute nicht mehr teurer als ein vergleichbarer Verbrenner. Wie lange denken Sie, werden die Verbrenner in Europa oder in den USA noch einen Kostenvorteil gegenüber BEVs haben?

Unabhängig von Fortschritten bei reinen E-Autos gehen wir davon aus, dass es noch mindestens 15 bis 20 Jahre Bedarf Verbrennertechnik geben wird.

Was antworten Sie Automobilzulieferern, die bislang Verbrennertechnik produzieren und gerne unter das große Dach von Horse schlüpfen würden?

Wie gesagt, wir sind grundsätzlich offen für Partnerschaften. Aber es ist auch normal, dass wir zunächst einmal darauf bedacht sind, die eigenen schon vorhandenen Kapazitäten auszulasten. Lassen sie uns einfach mal miteinander reden.