Fords fünf fette Fehler

Es ist kein Zufall, dass derzeit wieder einmal alte Gerüchte die Runde machen. Ford überlege angeblich, das Geschäft in Europa nochmals um eine ganze Dimension herunterzufahren, quasi den Chevrolet zu machen, hört man im Branchenumfeld.

Die zu General Motors gehörende US-Marke hatte Europa 2013 aufgegeben, seither wurden hier nur noch die sportlichen Ikonen Camaro und Corvette verkauft.

Das Worst-Case-Szenario dürfte zwar das am wenigsten wahrscheinliche für Ford sein, doch im Kern muss Ford-CEO Jim Farley Antworten auf dieselben Fragen finden, auf die Chevrolet damals mit dem Exit reagierte. Wir nennen fünf Gründe, die maßgeblich zu dieser schwierigen Lage beigetragen haben.

Ein Autobauer lebt von erfolgreichen Neuheiten. Setzt er neue Produkte in den Sand oder erst gar nicht um, dann ist das Siechtum vorprogrammiert.

Genau in diese Falle ist Ford in Europa gelaufen. Jahrelang zehrte der Autobauer von seiner smarten Entscheidung, dem Van-Segment mit dem S-Max und dem Galaxy neues Leben eingehaucht zu haben. Dann kam 2007 der perfekt für den europäischen Geschmack geschneiderte kompakte SUV Kuga auf den Markt. Doch danach wurde die Pipeline ausgedünnt und immer blasser.

Sowohl der 2012 gestartete B-Max als auch der 2014 in Europa eingeführte Ecosport konnten sich in ihren Segmenten keine führende Position erobern - ohnehin kamen sie zu spät, das Van-Segment war damals schon im Niedergang. Der originelle Ka wurde durch die brasilianische Budget-Lösung Ka+ ersetzt.

Die neuen Modelle wirkten wie ein Notnagel und blieben hinter dem Anspruch des Focus und des Fiesta in ihren jeweiligen Segmenten zurück. An die Stelle von Fahrspaß made by Ford trat Beliebigkeit offered by the blue oval.

2018 entschied dann der damalige CEO Jim Hackett, der zuvor einen Büromöbel-Bauer in den USA geleitet hatte, wenig profitable Modelle vor allem in Europa auszurangieren - und durch nichts zu ersetzen. Ecosport und B-Max verschwanden wieder, ebenso die Klassiker S-Max und Galaxy.

De facto zog sich Ford damit in kurzer Zeit aus mehreren Segmenten zurück. Die Lücke versuchte man, durch eine Flut von Facelifts bei den überlebenden Modellen zu übertünchen.

So kam es, wie es kommen musste: Fords Marktanteile in Europa schrumpften von Jahr zu Jahr. Von stolzen 11,76 Prozent im Jahr 1994 sackte der Anteil bis 2007 auf 8,2 Prozent ab, 2021 wurden noch 4,84 Prozent erreicht. Händler der Marke wissen ein Lied von diesem Niedergang zu singen.

Dass Ford es auch anders kann, beweist der 2019 eingeführte Kleinwagen-SUV Puma. Es wurde als sportliches Lifestyle-Auto im B-Segment konzipiert und ist europaweit erfolgreich. Das Konzept Fahrspaß und eigenständige Optik funktioniert bei der Marke Ford eben immer noch am besten.

Ford ist als börsennotiertes amerikanisches Unternehmen stark  fokussiert auf positive Quartalsentwicklungen. Investoren goutieren ein verbessertes EBIT immer noch mehr als eine aussichtsreiche Langfrist-Strategie, die nicht unmittelbar Früchte trägt.

Dieses Umfeld prägt die Entscheidungen aller Ford-CEOs. Auch Jim Farley, seit Herbst 2020 im Amt, hält regelmäßig Vorträge vor Analysten und Investoren. Sparen und Stellenabbauen sind in dieser Sicht ein Zeichen von smartem Management. 

Doch in der Autobranche, zumal in der aktuellen Phase grundlegender Transformationen, herrschen mehrjährige Produktzyklen, Werkzeuge und Modelle werden über viele Jahre abgeschrieben. Und besonders fatal ist es, sich in Zeiten knapper Fachkräfte von Ingenieuren und Ingenieurinnen zu trennen, die die Entwicklungsgeschichte ganzer Komponenten begleitet haben.

Die jüngste Entscheidung, im europäischen Entwicklungszentrum in Köln-Merkenich mehrere tausend Stellen abzubauen, könnte sich noch als Bumerang erweisen. Zwar erfordern E-Plattformen weniger Entwicklungsaufwand als Verbrenner-Plattformen, doch Innovationen und Wertschöpfung erfordern bei all dem Wandel in der Branche mehr Eigenleistung denn je. Die Frage stellt sich, wie Ford technologisch vorne mithalten will, mit immer weniger Ingenieuren an Bord.

Ein Hauptvorwurf an die Entscheider bei Ford lautet: Ihr habt die Elektrifizierung verschlafen. Als 2009 auf dem Automobilsalon in Genf das erste Serien-E-Auto in Europa präsentiert wurde, es war der ulkige Mitsubishi i-MiEV, machten sich Ford-Executives (und nicht nur sie) vernehmlich lustig über das Gefährt.

Ford glaubte als einer der letzten Autobauer in Europa, die europäischen Regulierungsvorgaben mit effizienten Verbrennern und einer verhaltenen Hybridisierung beantworten zu können. Welch ein Irrtum. Dabei hatte die Ford-Vorausentwicklung schon Jahre zuvor taugliche Konzepte für batterie-elektrische Fahrzeuge als auch für Brennstoffzellenfahrzeuge vorgelegt.

Auch hier wirkte sich der Cost-Killer-Instinkt der Ford-Chefs negativ aus. Um kurzfristig besser dazustehen, wurden notwendige Entwicklungen heruntergefahren, verschleppt oder ganz aufgegeben.

Weil Ford im Elektrobereich blank dastand, musste das Unternehmen 2020 das weitreichende Abkommen mit Volkswagen über die Abnahme hunderttausender elektrischer Plattformen des MEB (Modularer E-Antriebsbaukasten) für die erste Generation rein batterie-elektrischer Ford-PKW in Europa abschließen. Die Fertigung des ersten Modells, ein E-Crossover, startet im Herbst im umgebauten Kölner Werk. Ein zweites Modell folgt dann 2024 und soll in Valencia gebaut werden. Das geplante Volumen ist beachtlich: Jeweils rund 600.000 Einheiten für jedes Modell über die Laufzeit von rund vier Jahren.

Zwar arbeitet Ford an einer eigenen elektrischen Plattform, doch die wird frühestens 2025 zur Verfügung stehen. Sie wird auch nicht mehr in Europa, sondern in den USA entwickelt.

Ford hat es trotz vieler Bemühungen nicht geschafft, die Marke unverwechselbar zu positionieren. Das führte seit jeher zu dem Zwang, jede Rabattschlacht am Markt mitzugehen. Und einen irgendwie gearteten Marken-Bonus konnte Ford in Europa niemals erzielen, im Gegenteil, man muss schon eher einen Marken-Malus konstatieren.

Die Notmaßnahme, nun die ersten E-Modelle mit VW-Technik auf die Straße zu bringen, wird dieses Dilemma gewiss nicht entschärfen.

Die Marketing-Verantwortlichen von Ford haben das Problem erkannt und sehen nun einen Ausweg in der "Amerikanisierung" der Marke. Ford soll als wilde, amerikanische Marke herausstechen aus dem Einerlei des europäischen Volumenmarktes. "Adventurous Spirit - Lust am Abenteuer" lautet das neue Markencredo.

Ob diese Neupositionierung die erhoffte Wende bei der Wahrnehmung und Wertigkeit der Marke bringen wird, bleibt abzuwarten. Bislang zumindest hat die Stellantis-Marke Jeep dieses Feld in Europa fest im Griff.

Ford hat in vielen Ländern Europas ein engagiertes, loyales und flächendeckend aufgestelltes Händlernetz. Das ist zunächst einmal ein Riesenpluspunkt in einer Autowelt, in die immer mehr Marken und Mehrmarkenhändler strömen.

Doch Ford hat dieses starke Händlernetz nie wirklich dazu ermuntert, mit Nachdruck in die neue Welt der Mobilitätsangebote zu starten. Zwar wurde bereits 2013 das Ford Carsharing eingeführt - das jedoch nicht über die Marke ausstrahlte und von den meisten Partnern nur genutzt wurde, um Werkstattaufenthalte zu überbrücken.

Anfang 2022 kam dann das Ford-Auto-Abo hinzu, auch dies wird selbstverständlich nur bei "teilnehmenden Partner" angeboten.

Nur eine Episode blieb für Ford das Angebot des E-Scooter-Verleihers Spin. Nach nur zwei Jahren zog sich Spin Anfang 2022 vom deutschen Markt zurück.

Vom systematischen Aufbau eines Mobilitätsangebotes, wie es etwa Toyota oder Renault tun, ist Ford somit in Europa meilenweit entfernt. Das mag derzeit noch nicht ins Gewicht fallen, wird sich im Zeitalter des "Car-as-a-Service" aber noch rächen - denn dann werden die Claims auf diesen Märkten fest in der Hand der Wettbewerber sein.

Aus dem Datencenter:

Modellvorschau der Marke Ford 2023 bis 2025